art.wikisort.org - Künstler

Search / Calendar

Alfred Jarry (* 8. September 1873 in Laval, Département Mayenne, Frankreich; † 1. November 1907 in Paris) war ein französischer Schriftsteller.

Fotoporträt Alfred Jarrys, 1896, Fotograf nicht bekannt
Fotoporträt Alfred Jarrys, 1896, Fotograf nicht bekannt

Biografie


Jarry entstammte einer relativ wohlhabenden bretonischen Bürgerfamilie. Nach der Schulausbildung in Saint-Brieuc, Rennes und am Lycée Henri IV in Paris, bewarb er sich mehrmals vergeblich um die Aufnahme an der École normale supérieure. Ein anschließend begonnenes Philologiestudium an der Sorbonne beendete er ebenfalls ohne Abschluss, um sich des Weiteren im Milieu der Pariser Bohème mit literarischen Produktionen aller Genres sowie literatur- und theaterkritischen Essays zu verdingen. Beispielsweise inspirierte ihn die Lektüre von H. G. Wells’ Die Zeitmaschine zu einem Essay über den Bau einer „machine à explorer le temps“. Eigenen Aussagen zufolge wurden seine in dieser Phase entstehenden Werke darüber hinaus von der evolutionären Philosophie Henri Bergsons (seines Philosophielehrers am Lycée Henri-IV) und von den Romanen François Rabelais’ beeinflusst.

Im Juni 1896 wurde Jarry vom Intendanten Lugné-Poe zum Sekretär am Théâtre de l'Œuvre ernannt und war fortan mit Verwaltungsaufgaben, Öffentlichkeitsarbeit und Programmgestaltung betraut. Am Théâtre de l'Œuvre wurde auch bald darauf Jarrys wohl bekanntestes Werk, das grotesk-komische Drama König Ubu inszeniert, dessen Uraufführung am 10. Dezember 1896 zu einem der berühmtesten Skandale der französischen Theatergeschichte wurde. Nach Ubus initialem Ausruf „Merdre“ (eine Verballhornung aus merde = Scheiße, ins Deutsche mal als Schreiße, Schleiße, Scheitze oder Schoiße übersetzt) musste die Vorstellung aufgrund von handfesten Tumulten für mehrere Minuten unterbrochen werden. Die Kritiken in der bürgerlichen Presse waren entsprechend vernichtend und nötigten Jarry zu mehreren rechtfertigenden Stellungnahmen. Ab 1898 erschienen in verschiedenen literarischen Periodika Fragmente des Romans Heldentaten und Ansichten des Doktor Faustroll, der als Gründungsdokument der „’Pataphysik“, der Wissenschaft von den imaginären Lösungen, gilt und Jarrys Nachruhm maßgeblich mitbegründete (vgl. Collège de ’Pataphysique). Allerdings blieben ihm künstlerische Anerkennung und finanzieller Erfolg weiterhin verwehrt.

Jarry mit Fahrrad
Jarry mit Fahrrad

Im November 1896 erstand Jarry zum Preis von 525 Francs ein Fahrrad des Typs „Clément luxe 96“ – damals Ausdruck einer unerhörten Modernität –, das fortan zu seinem Markenzeichen wurde und ihn bis zu seinem Tod begleiten sollte.

Infolge der fehlenden Rezeption seiner Werke durch die literarische Öffentlichkeit führte Jarry nun zunehmend ein Außenseiterdasein am Rande des Existenzminimums. Im Bemühen, die Grenze zwischen Realität und Literatur zu verwischen, entwickelte er auffällige Schrullen und Idiosynkrasien, beispielsweise näherte er sich in Sprachduktus und Gebaren seiner Hauptfigur Ubu an und erging sich in antibürgerlichen Exzessen. So schoss er zum Beispiel während eines Gala-Diners mehrmals mit einer mit Platzpatronen geladenen Pistole auf einen ihm besonders unliebsamen Gast.

Alfred Jarry starb am 1. November 1907 im Alter von 34 Jahren an einer tuberkulösen Meningitis. Der letzte von ihm überlieferte Satz soll die Bitte um einen Zahnstocher gewesen sein. Nach seinem Tod wurde Jarrys Biographie immer mehr vom Mythos des Bürgerschrecks und des von Gläubigern gejagten „poète maudit“ überlagert.


Theaterästhetik


In der systematischen Durchbrechung der bestehenden Theaterkonventionen, welche die Uraufführung von König Ubu zu einem derartigen Skandalon werden ließ, manifestiert sich nicht nur Jarrys prononcierter Hang zur Provokation, sondern auch die von ihm vertretene, radikal neue Theaterästhetik, die er in verschiedenen programmatischen Texten dargelegt hat. Jarry wandte sich sowohl vom deklamierenden Sprech- oder Ideentheater klassischer Prägung, als auch von einer naturalistischen Abbildung der Realität ab und forderte stattdessen ein radikal a-mimetisches, vom Marionettentheater inspiriertes „théâtre-action“.

Figuren: Jarrys Figuren zeichnen sich durch eine ins Typenhafte gesteigerte Entpsychologisierung und Entpersonalisierung aus. Sie lassen sich meist durch einen geringen Satz an Merkmalen erschöpfend charakterisieren, ihr Handeln ist oft von Irrationalität und Akausalität geprägt, sie sind wandlungs- und lernunfähig. Dies wird äußerlich durch das Tragen von Gesichtsmasken repräsentiert, die zusammen mit einer monotonen, artifiziellen Stimmlage und einem jeweils figurentypischen Bewegungsmuster eine maximale Distanz zwischen der konkreten Persönlichkeit des Schauspielers und der zeitlosen „Persona“ der künstlerischen Figur herstellen sollen.

Dekor: Da ihm ein realistisches Bühnendekor als überflüssiger Ballast für die Einbildungskraft erschien, versuchte Jarry die traditionelle Illusionsbühne hin zu einem a-mimetischen Bühnendekor zu überwinden, das nicht nur weit entlegene Orte, sondern auch Innen- und Außenräume unmittelbar in eins setzt. Konkrete Ortsangaben sollten über Hinweisschilder gegeben werden (hierbei berief sich Jarry u. a. auf das elisabethanische Theater), Türen und Kulissen wurden teils durch Statisten ersetzt, die ihre jeweilige Funktion durch suggestive Bewegungen vermittelten.

Publikum: Das Publikum betreffend unterschied Jarry zwischen der dumpfen, künstlerisch „illiteraten“ Masse und einer kleinen Zahl an verständigen Eingeweihten, seinen eigentlichen Adressaten. Ein genuines Publikum für seine radikale Kunst müsse erst noch entstehen.


Wirkung


Nach seinem Tod gerieten Jarrys Werke außerhalb gewisser künstlerisch-elitärer Kreise weitgehend in Vergessenheit und wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg wiederentdeckt. Wirkungsgeschichtlich gehört Jarry zu den wichtigsten Vorläufern und Bezugsgrößen des Surrealismus, des Dadaismus und vor allem des absurden Theaters. James Graham Ballard, Antonin Artaud sowie zahlreiche bedeutende Autoren aus dem Umkreis des Collège de ’Pataphysique und des Oulipo (Raymond Queneau, Boris Vian, Eugène Ionesco, Julio Cortázar etc.) zählten ihn zu ihren literarischen Vorbildern. Mit der Figur des machtgierigen, feigen, abjekten (d. h. verächtlichen) Bourgeois Père Ubu schuf er einen quasi-mythischen Anti-Helden, der Eingang in das literarische Figurenarsenal der Avantgarde und – in Form des Adjektivs ubuesque – sogar ins französische Alltagsvokabular fand.

Der französische Schriftsteller André Gide lässt in seinem 1925 erschienenen Roman Die Falschmünzer Jarry bei einer Abendgesellschaft auftreten. Er schildert den Autorenkollegen als exaltierten Künstler, der schließlich mit Platzpatronen um sich schießt.


Werke


Einzelausgaben

Gesamtausgabe

Gesammelte Werke in 11 Bänden, herausgegeben von Klaus Völker. Erste und einzige deutsche Werkausgabe, mit vielen deutschen Erstausgaben. Taschenbuch, kartoniert, zusammen ca. 2500 Seiten. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1987.

Beteiligte Übersetzer: Wolfgang Sebastian Baur, Heribert Becker, Ludwig Harig, Frank Heibert, Eugen Helmlé, Alfred Jarry, Grete Osterwald, Jens Salta, Heinz Schwarzinger, Klaus Völker.


Hörspielbearbeitungen



Literatur




Commons: Alfred Jarry – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Alfred Jarry – Quellen und Volltexte (französisch)

Einzelnachweise


  1. Paul Muldoon: Einleitung von Paul Muldoon. In: Paul McCartney: Lyrics. 1956 bis heute. Hrsg. mit einer Einleitung von Paul Muldoon. Aus dem Englischen übersetzt von Conny Lösche. C. H. Beck, München 2021, ISBN 978-3-406-77650-2, S. XXVI–XXXI, hier: S. XXVIII.
  2. BR Hörspiel Pool - Jarry, Heldentaten und Lehren des Dr. Faustroll (Pataphysiker)
Personendaten
NAME Jarry, Alfred
KURZBESCHREIBUNG französischer Schriftsteller
GEBURTSDATUM 8. September 1873
GEBURTSORT Laval, Département Mayenne, Frankreich
STERBEDATUM 1. November 1907
STERBEORT Paris

На других языках


- [de] Alfred Jarry

[en] Alfred Jarry

Alfred Jarry (French: [al.fʁɛd ʒa.ʁi]; 8 September 1873 – 1 November 1907) was a French symbolist writer who is best known for his play Ubu Roi (1896).[1] He also coined the term and philosophical concept of 'pataphysics.[2]

[fr] Alfred Jarry

Alfred Jarry, né à Laval, en France, le 8 septembre 1873 et mort à Paris 6e le 1er novembre 1907[3], est un poète, romancier, écrivain et dramaturge français. Il est aussi dessinateur et graveur[4].

[ru] Жарри, Альфред

Альфред Жарри (фр. Alfred Jarry, 8 сентября 1873 года, Лаваль (Майенн) — 1 ноября 1907 года, Париж) — французский поэт, прозаик, драматург, ключевой предшественник абсурдизма, изобретатель термина патафизика.



Текст в блоке "Читать" взят с сайта "Википедия" и доступен по лицензии Creative Commons Attribution-ShareAlike; в отдельных случаях могут действовать дополнительные условия.

Другой контент может иметь иную лицензию. Перед использованием материалов сайта WikiSort.org внимательно изучите правила лицензирования конкретных элементов наполнения сайта.

2019-2024
WikiSort.org - проект по пересортировке и дополнению контента Википедии