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Edgar Varèse (geboren als Edgard Victor Achille Charles Varèse;[1] * 22. Dezember 1883 in Paris; † 6. November 1965 in New York) war ein französischer Komponist und Dirigent. Im Jahr 1915 emigrierte er in die Vereinigten Staaten.

Edgar Varèse (1931)
Edgar Varèse (1931)

Leben


Edgar Varèse war das älteste von sieben Kindern des Italieners Henri Varèse und seiner französischen Frau Blanche-Marie Cortot. Er wuchs in Paris und bei seinen Großeltern mütterlicherseits in Le Villars im Burgund auf; eine prägende Rolle in seiner Kindheit spielte der Großvater Claude Cortot. 1892 zogen seine Eltern mit ihm nach Turin. Dort unternahm er mit elf Jahren einen ersten Kompositionsversuch: Martin Pas, eine Oper nach Jules Verne für Knabenstimme und Mandoline. Der Vater war Ingenieur, wünschte für seinen Sohn den gleichen beruflichen Weg und legte Wert auf eine mathematisch-naturwissenschaftliche Ausbildung. Den musikalischen Interessen des Sohnes stand er ablehnend gegenüber; dieser nahm heimlich Unterricht: Im Jahr 1900 wurde er Schüler am Turiner Konservatorium. Er wirkte als Schlagzeuger im Opernorchester mit und machte erste Erfahrungen als Dirigent. Im selben Jahr starb seine Mutter, das gespannte Verhältnis zu seinem Vater, der ein zweites Mal heiratete, verschärfte sich.

1903 brach Varèse endgültig mit seinem Vater und ging nach Paris, wo er 1904 ein Musikstudium an der Pariser Schola Cantorum aufnahm. Seine Lehrer waren Albert Roussel (Kontrapunkt), Vincent d’Indy (Komposition, Dirigieren) und Charles Bordes (Musik des Mittelalters und der Renaissance). 1905 wechselte er an das Pariser Konservatorium und studierte bei Charles-Marie Widor (Komposition). Er gründete seinen ersten Chor, stand in Verbindung zur Künstlergruppe La Mansarde, die sich für das wagnersche Gesamtkunstwerk begeisterte, und komponierte erste Werke für Orchester. 1907 beendete er sein Studium bei Widor und heiratete die Schauspielerin Suzanne Bing. Zudem lernte er Claude Debussy persönlich kennen, dessen Musik ihn schon seit seiner Zeit in Turin stark beeindruckt hatte.

Am Ende des Jahres zog Varèse mit seiner Frau nach Berlin um. Vermutlich hatte er Ferruccio Busonis Schrift Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst gelesen, jedenfalls suchte er zu diesem engen Kontakt und wurde sein Schüler. Er korrespondierte mit Hugo von Hofmannsthal, nach dessen Schauspiel Ödipus und die Sphinx er eine Oper komponierte. Er gründete auch in Berlin einen Chor, machte die Bekanntschaft von Maurice Ravel, Richard Strauss, Romain Rolland und – anlässlich eines Besuches bei von Hofmannsthal in Wien – Gustav Mahler. Rolland wurde ein Förderer von Varèse. Das Orchesterwerk Bourgogne wurde durch die Fürsprache von Richard Strauss am 15. Dezember 1910 als erstes seiner Werke öffentlich in Berlin vom Blüthner-Orchester uraufgeführt. Schon vorher im Oktober wurde seine Tochter Claude geboren. Er hörte 1912 die Uraufführung von Pierrot Lunaire von Arnold Schönberg, einem Schlüsselwerk der Musik des 20. Jahrhunderts.

Edgard Varèse (1910)
Edgard Varèse (1910)

1913 ließ sich Varèse scheiden. Während eines längeren Aufenthaltes in Paris vernichtete ein Brand in Berlin mit seinen zurückgelassenen Manuskripten fast alle seine bis dahin komponierten Werke. In Paris war er Zeuge der skandalträchtigen Uraufführung eines weiteren Schlüsselwerks: Igor Strawinskis Ballett Le sacre du printemps. Einflüsse und Zitate von Strawinskis Sacre und Petruschka zeigten sich später im Werk Varèses.[2] Er arbeitete außerdem an einem Bühnenprojekt von Jean Cocteau mit.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 kehrte Varèse vorerst nach Paris zurück. Im folgenden Jahr emigrierte er wie viele andere Pariser Künstler in die USA, am 29. Dezember 1915 kam er in New York an. Er traf hier die Dadaisten um Marcel Duchamp und schrieb für eine Künstlerzeitschrift von Francis Picabia. Außerdem lernte er die damals bedeutendsten New Yorker Vertreter der Avantgardekunst um Walter Arensberg und Alfred Stieglitz kennen. Er arbeitete als Notenkopist an der Orchestrierung von fremden Kompositionen. Seine Einstudierung des Requiems von Hector Berlioz und dessen Aufführung am 1. April 1917 brachte ihm einen ersten großen Erfolg als Dirigent, der ihm weitere Engagements verschaffte. Im selben Jahr heiratete er in zweiter Ehe die Amerikanerin Louise Norton. Das 1919 von ihm gegründete New Symphony Orchestra hatte mit seinem anspruchsvollen Programm aus alter und neuer Musik bei Kritik und Publikum keinen Erfolg, so dass er seine Dirigiertätigkeit dort schnell wieder abgab. Zusammen mit dem Harfenisten Carlos Salzédo und mit finanzieller Unterstützung zweier Mäzeninnen gründete er 1921 die International Composers’ Guild (ICG) zum Zweck der Aufführung des gesamten Spektrums der damals aktuellen Neuen Musik. Im folgenden Jahr gründeten auf seine Anregung Busoni und Heinz Tiessen das europäische Gegenstück, die Internationale Komponisten-Gilde (IKG), die aber gegenüber der etwas später gegründeten Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) wenig Einfluss gewann und nur kurzen Bestand hatte.

1921/22 schrieb Varèse das Orchesterwerk Amériques, dem bis 1927 vor allem kammermusikalische Werke folgen. Gegenüber seinen Werken aus der Pariser und Berliner Zeit entwickelte er in seinen neuen Kompositionen eine vollkommen neuartige Klangsprache. Er wurde 1927 amerikanischer Staatsbürger, im selben Jahr löste er die ICG auf, gründete aber bereits im folgenden mit Henry Cowell und Carlos Chávez Ramírez die Pan-American Association of Composers (PAAC), die sich die Förderung zeitgenössischer Komponisten des amerikanischen Kontinents zum Ziel gesetzt hatte.

1928 ging Varèse wieder nach Paris. Es kam dort, wie auch in Deutschland, zu ersten Aufführungen seiner in den Vereinigten Staaten komponierten Stücke. André Jolivet wurde 1930 für einige Zeit sein Schüler, er hatte Kontakt zu Heitor Villa-Lobos und Antonin Artaud. Sein Plan für ein Laboratorium, in dem Künstler und Wissenschaftler gemeinsam neue Möglichkeiten der Klangerzeugung in der Musik erforschen sollten, konnte nicht verwirklicht werden. 1933 kehrte er nach New York zurück.

Für Varèse begann eine zwanzigjährige Phase, die von starken Stimmungsschwankungen und Depressionen gezeichnet war und in der er, abgesehen vom Flötenstück Density 21.5 (1936) kein Werk veröffentlichte und (bis zu Déserts im Jahr 1954) kein bedeutendes Werk vollendete. 1934 wurde eine erste Schallplattenaufnahme mit einem seiner Werke (Ionisation) aufgenommen, ab 1936 hielt er Vorlesungen in Santa Fe. Im November 1937 zog er nach San Francisco, im darauffolgenden Mai nach Los Angeles, wo er versuchte, für seine Musik im Filmgeschäft Hollywoods Interessenten zu gewinnen, aber erfolglos blieb. Er kehrte 1940 nach New York zurück, gründete 1941 den New Chorus, später zum Greater New York Chorus erweitert, mit dem er überwiegend Alte Musik aufführte.

Im Jahr 1950 wurde er eingeladen, bei den Internationalen Ferienkursen für neue Musik Darmstadt einen Kompositionskurs abzuhalten. Damit begann eine verstärkte Rezeption seines Werkes unter den jungen, europäischen Komponisten; seine Werke wurden wieder vermehrt aufgeführt. Er begann mit der Komposition von Déserts, die das damals neuartige Magnettonband als Klangquelle einsetzt. Bei der Uraufführung 1954 in Paris, die live auch im Rundfunk stereophon ausgestrahlt wurde, kam es zu einem großen Eklat, dennoch folgten rasch und mit Erfolg weitere Aufführungen in Europa (Hamburg, Stockholm) und nach seiner Rückkehr 1955 auch in den USA. Es folgte als nächstes großes Projekt das Poème électronique, das in Zusammenarbeit mit Le Corbusier und dessen damaligem Assistenten Iannis Xenakis entstand. Es handelte sich um eine Komposition für mehrere Tonbänder, die im Pavillon der Firma Philips auf der Weltausstellung 1958 in Brüssel über ein System von 425 Lautsprechern erklang.[3] Dieses Werk hörten über zwei Millionen Besucher des Pavillons, es wurde nach seiner Rückkehr in die USA in New York wiederholt.

Von Varèse wurden bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days) 1961 in Wien Arcana, 1964 in Kopenhagen Offrandes und 1965 in Madrid Octandre aufgeführt.[4][5]

Danach begann Varèse noch zwei weitere Kompositionen, Nocturnal und Nuit, konnte sie aber nicht mehr vollenden. Am 6. November 1965 starb er an einer Thrombose in einem New Yorker Krankenhaus. Sein Nachlass befindet sich heute in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel. Seit 1955 war er Mitglied der American Academy of Arts and Letters.[6]

Zu den Musikern, die besondere Bewunderung für Varèse bekundet haben, zählen Wolfgang Rihm, John Palmer und Frank Zappa.[7]


Musikalisches Schaffen


In seinen frühen Jahren beeinflussten Varèse vor allem die Musik aus Mittelalter und Renaissance. Während seiner späteren Karriere dirigierte er mehrere Chöre, die sich diesem Repertoire widmeten. Darüber hinaus beeinflussten ihn Komponisten wie Hector Berlioz, Richard Strauss, Erik Satie, Claude Debussy, Alexander Skrjabin, Igor Strawinsky und Arnold Schönberg. Sein Stück Arcana enthält Reminiszenzen an Strawinskys frühe Werke Petruschka und Le sacre du printemps,[8] dennoch ist Varèses Stil in hohem Maße eigenständig und unverwechselbar.

Verschiedene mit Pausen alternierend auftretende Klangmassen erfahren asynchron Veränderungen, die zum Teil als Perspektivwechsel[9] oder Projektion[10] gedeutet werden können; dabei werden Kompositionssysteme vermieden, es lassen sich aber konstruktive Aspekte ausmachen, wie wiederholt verwendete oder ausgelassene Tongruppen in Umgebungen, die durch unterschiedliche Register, Dichte, Rhythmik, Instrumentation oder Änderungsfrequenz kontrastieren.[11] Varèses Vorliebe galt den vibratoarmen und klangintensiven Instrumenten der Bläser- und Schlagzeugfamilien, die Sirene wird für langsame stufenlose Tonhöhenänderungen herangezogen. Das Klangbild ist zudem durch große Lautstärke und hohen Dissonanzgrad bei dichter, zum Teil mehrfach überlagerter Rhythmik gekennzeichnet.

Den größten Einfluss übte Varèse durch die Tatsache aus, dass Veränderungen weniger als motivische Arbeit denn als kompositorisch gestaltete Organisation von Klangereignissen wahrgenommen werden. So wurde seine als unerhört aufgenommene Musik von Zeitgenossen wie Ferruccio Busoni, Debussy, Strawinsky und Schönberg geschätzt und konnte auf Komponisten wie Milton Babbitt, Pierre Boulez, Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen oder John Cage wirken.


Werke


Fast alle Werke aus der Frühphase vor der Übersiedlung in die USA 1915 gelten als vom Komponisten vernichtet oder als verloren gegangen, darunter:


Literatur



Einspielungen (Auswahl)



Einzelnachweise


  1. Horst Weber (Hrsg.): Komponisten-Lexikon – 350 werkgeschichtliche Portraits. 2., überarb. und erw. Auflage. J. B. Metzler, Stuttgart 2003, ISBN 3-476-01966-7, S. 647.
  2. Malcolm MacDonald: Varèse. Astronomer in Sound. Reprinted edition. Kahn & Averill, London 2006, ISBN 1-871082-79-X, S. 201–204.
  3. Edgard Varèse. American composer. In: Encyclopædia Britannica. 18. Dezember 2018;.
  4. Programme der ISCM World Music Days von 1922 bis heute
  5. Anton Haefeli: Die Internationale Gesellschaft für Neue Musik – Ihre Geschichte von 1922 bis zur Gegenwart. Zürich 1982, S. 480ff
  6. Members: Edgard Varese. American Academy of Arts and Letters, abgerufen am 1. Mai 2019.
  7. Frank Zappa: Edgard Varese: The Idol of My Youth. (Memento vom 30. September 2007 im Internet Archive) In: Stereo Review. Juni 1971, ISSN 0039-1220, S. 61–62
  8. MacDonald, S. 200–205.
  9. Günther Metz: Visionen und Aufbrüche: zur Krise der modernen Musik, 1908–1933., G. Bosse 1994, S. 175.
  10. Maria Anna Harley: Space and Spatialization in Contemporary Music: History and Analysis Ideas and Implementations. Ph. D. Dissertation, McGill University, School of Music, Montreal 1994, S. 140f.
  11. Musikanalytische Beschreibung nach Paul Griffith: Varèse, Edgard In: Stanley Sadie (Hrsg.): The New Grove Dictionary of Music and Musicians Reprint in paperback ed. Macmillan Publishers Limited, London 1995, ISBN 1-56159-174-2, B. 19, S. 529–34, hier 531.
  12. Mehr nicht erschienen.


Commons: Edgar Varèse – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Personendaten
NAME Varèse, Edgar
ALTERNATIVNAMEN Varèse, Edgar Victor Achille Charles; Varèse, Edgard
KURZBESCHREIBUNG französisch-US-amerikanischer Komponist und Dirigent
GEBURTSDATUM 22. Dezember 1883
GEBURTSORT Paris
STERBEDATUM 6. November 1965
STERBEORT New York

На других языках


- [de] Edgar Varèse

[en] Edgard Varèse

Edgard Victor Achille Charles Varèse (French: [ɛdɡaʁ viktɔʁ aʃil ʃaʁl vaʁɛz]; also spelled Edgar;[1] December 22, 1883 – November 6, 1965)[2] was a French-born composer who spent the greater part of his career in the United States. Varèse's music emphasizes timbre and rhythm;[3] he coined the term "organized sound" in reference to his own musical aesthetic.[4] Varèse's conception of music reflected his vision of "sound as living matter" and of "musical space as open rather than bounded".[5] He conceived the elements of his music in terms of "sound-masses", likening their organization to the natural phenomenon of crystallization.[6] Varèse thought that "to stubbornly conditioned ears, anything new in music has always been called noise", and he posed the question, "what is music but organized noises?"[7]

[es] Edgar Varèse

Edgard Victor Achille Charles Varèse, también escrito Edgar Varèse[1] (París, 22 de diciembre de 1883 - Nueva York, 6 de noviembre de 1965) fue un compositor francés, que vivió una larga etapa decisiva en Estados Unidos.

[ru] Варез, Эдгар

Эдга́р Варе́з (фр. Edgar(d) Varèse[lower-alpha 1]; 22 декабря 1883 года, Париж, Франция — 6 ноября 1965 года, Нью-Йорк, США) — французский и американский композитор и дирижёр, один из пионеров электронной и конкретной музыки.



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