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Günter Johl (* 27. Mai 1908 in Potsdam; † 25. November 1965 in Berlin) war ein deutscher Maler und Grafiker, der der sogenannten verschollenen Generation zuzuordnen ist.

Günter Johl, Selbstporträt, signiert unten rechts, vor 1965
Günter Johl, Selbstporträt, signiert unten rechts, vor 1965

Leben und Werk


Günter Johl wurde am 27. Mai 1908 in Potsdam geboren. In den Jahren zwischen 1927 und 1936 absolvierte er eine Lehre als Schriftmaler bei seinem Vater, der selbständiger Leiter eines Werbeateliers war, lernte Zeichnen, Entwerfen und Illustrieren in den Abend- und Tagkursen der Kunstgewerbeschule Berlin-Charlottenburg und studierte schließlich an den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst Grafik, Schrift und Malerei. Großen Einfluss auf den Studenten hatte sein Lehrer, der bedeutende Illustrator Hans Meid. Treffsicher, mit schnellem Strich und einem gewissen Hang zur Überzeichnung fing Johl in seinen frühen Arbeiten das Umfeld und die Menschen seiner Zeit ein.[1][2]

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurden bis 1936 alle jüdischen und regimekritischen Lehrkräfte aus den Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst entfernt. Auch Günter Johls Studium endete wegen seiner Ablehnung der nazistischen Kunstpolitik abrupt. Er begann nun, unter der geschäftlichen Leitung seines Vaters mit Aufträgen für Werbemessen – unter anderem für die „Grüne Woche“ in Berlin – sein Geld zu verdienen, war als Pressezeichner für verschiedene Lokalblätter tätig und illustrierte für den Grote Verlag den Roman „Das Mädchen von Utrecht“ von Otto Brües. Eine weitere Zäsur in seinem Schaffen bildete dann – wie bei so vielen Künstlern der verschollenen Generation – der Zweite Weltkrieg. Am 7. September 1939 hatte Günter Johl die Pianistin Ursula Hacker geheiratet, kurz darauf wurde er von der Wehrmacht[1][2] eingezogen. Als Soldat war er hauptsächlich in Straßburg stationiert, wo er sich mit einigen aquarellierten Stadtansichten an Kunstausstellungen beteiligte und für die dortigen Tageszeitungen Zeichnungen für den Theater- und Konzertteil anfertigte. 1943 kam seine Tochter Amadee auf die Welt. 1945 kurz vor Kriegsende zog die Familie nach Stendal um.[1]

Sgraffito „Durchbrecher aller Bande“ (1954) in St. Nicolai in Magdeburg
Sgraffito „Durchbrecher aller Bande“ (1954) in St. Nicolai in Magdeburg

In Stendal – inmitten der sowjetischen Besatzungszone – ließ er sich als freischaffender Künstler nieder, setzte wie so viele andere[1][3][4] auf die Stunde Null, beteiligte sich hoffnungsfroh an diversen Ausstellungen, unterrichtete als Dozent für Kunst an der Volkshochschule[5] und gründete 1953 eine Lehrwerkstatt für Weberei, Applikation und Mosaik. War er im Dritten Reich mit der nazistischen Kunstpolitik in Konflikt geraten, so kollidierte er in der jungen DDR zunehmend mit dem von den sozialistischen Funktionären auferlegten Realismus sowjetischer Prägung. Sein anfängliches Bemühen, sich der staatlichen Kunstauffassung anzupassen, gab er spätestens 1954 endgültig auf, als er in der Kirche einen mehr oder weniger unabhängigen Auftraggeber und eine künstlerische Nische für sich fand. Der „Durchbrecher aller Bande“, ein monumentales Sgraffito, das er für die im Krieg stark zerstörte Schinkelkirche St. Nicolai in Magdeburg geschaffen hatte,[6][7] verhalf ihm in Kirchenkreisen endgültig zum künstlerischen Durchbruch, so dass er durch den Kunstdienst der evangelischen Kirche in der Folgezeit mit diversen größeren und kleineren Aufträgen versorgt wurde. Abseits des Brennpunktes der offiziellen Kunst- und Kulturpolitik entwarf er zahlreiche Kirchenfenster und fertigte in eigener Werkstatt sakrale Bildteppiche, Altar- und Kanzelbehänge an, die ihren Weg bis nach Westfalen und ins Münsterland fanden und in denen er eine expressiv flächige und gleichzeitig linear-dynamische, an Marc Chagall und Georges Braque erinnernde Abstraktion verfolgte und die Aussagen christlicher Bildthemen in „vieldeutiger Eindeutigkeit und eindeutiger Vieldeutigkeit“[6] der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation kritisch gegenüberzustellen wusste.[8] Die Arbeit für die Kirche brachte allerdings den Nachteil mit sich, dass seine Werke direkt aus der Werkstatt in die Sakralräume wanderten und dort dann ausnahmslos der Verkündigung der christlichen Heilslehre dienten. Der Name und die Person des Künstlers blieben dabei zumeist unbenannt und unbekannt.

Die sich immer mehr schließende innerdeutsche Grenze, die dadurch schwieriger werdende Auftragslage und die „eingrenzende Ausgrenzung“[9] von Andersdenkenden in der DDR ließen die Familie Johl schließlich zu einem folgenschweren Entschluss kommen. Am 17. August 1961, kurz nach dem Mauerbau, floh Günter Johl mit falschen Papieren aus der DDR nach West-Berlin.[10] Seine Tochter war bereits einige Tage zuvor über die noch offene Grenze in den Westen gereist. Seiner Frau gelang die Flucht nicht. Sie kam in Haft, aus der sie erst nach anderthalb Jahren wieder entlassen wurde.[11]

Grabmal von Günter Johl auf dem Alten Friedhof Wannsee in Berlin
Grabmal von Günter Johl auf dem Alten Friedhof Wannsee in Berlin

Die dramatischen und traumatisierenden Ereignisse der Flucht vom Osten in den Westen, die den zeitweisen schmerzlichen Verlust seiner Frau zur Folge hatten, waren die tiefgreifendste Zäsur in Günter Johls Leben. Am Ende war er ein gebrochener, verzweifelter und kranker Mann. Zusammen mit seiner Tochter wohnte er in reichlich beengten Verhältnissen bei seiner Mutter in Berlin-Charlottenburg, kämpfte um die Freilassung seiner Frau und arbeitete als Fachlehrer für Schrift und Schaufensterdekoration sowie als Leiter von Werkkursen in Jugendfreizeitheimen.[12][13] Der 1962 für die evangelisch-methodistische Christus-Kirche in Berlin-Kreuzberg entworfene monumentale Altarteppich mit dem Heilandsruf (Mt. 11,25 ff.) ist die einzige neue Auftragsarbeit aus dieser Zeit, die er noch eigenhändig ausführen konnte. 1964 durfte seine Frau infolge einer Invalidisierung zwar endlich nach West-Berlin ausreisen, aber nur ein Jahr später, am 25. November 1965, erlag Günter Johl im Alter von 57 Jahren einem Krebsleiden.[11] Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof Wannsee an der Friedenstraße in Berlin.


Kunstgeschichtliche Einordnung


Die Biographie Günter Johls offenbart in ziemlich eindringlicher Weise die Not vieler DDR-Künstler seiner Generation[9][14][15]: Durch den Nationalsozialismus und den Krieg aus der künstlerischen Entwicklung gerissen, in der jungen DDR am Dogma des Realismus gescheitert, von offiziellen Aufträgen ausgeschlossen und in die Isolation und Anonymität der sakralen Kunst abgedrängt, kehrte er notgedrungen der ostdeutschen Heimat den Rücken, nur um in der nach westlichen Idealen vorwärtsstrebenden Bundesrepublik zu erkennen, dass er auch dort keinen wirklichen Anschluss an die Kunstentwicklung fand. Im Fall Günter Johls kam darüber hinaus noch seine private Tragödie rund um die Flucht aus der DDR erschwerend hinzu, die letzten Endes seinen Lebensmut zerstörte. Dennoch hinterließ er der Nachwelt ein ausgesprochen vielseitiges, gattungsübergreifendes, wenn auch kaum mehr mit seinem Namen verknüpftes Œuvre und wurde somit zu einem typischen Vertreter der verschollenen Generation, deren Bedeutung erst jetzt nach und nach ins kunstgeschichtliche Bewusstsein rückt.[16]


Verzeichnis der ausgeführten Werke


- 1948 -

- 1954 -

- 1955 -

- 1956 -

- 1958 -

- 1959 -

- 1960 -

- 1962 -


Einzelnachweise


  1. Hermann Reuter, Günter G. A. Marklein: Kunst der Altmark. Märkischer Kunst- und Heimatverlag, Hechthausen – Kalbe a. d. Milde 1995, ISBN 3-925354-17-4, S. 72.
  2. Werner Wortmann: Martin-Luther-Kirche 1861–1961. Zur 100-Jahrfeier der Martin-Luther-Kirche in Gütersloh. Verlag: Ludw. Flöttmann, Gütersloh 1961, S. 83.
  3. Kunstmappe "Vier Maler". Stendal 1948.
  4. Rat der Stadt Stendal (Hrsg.): Kunstmappe Stendal. Stadt und Landschaft. Stendal 1948.
  5. Hermann Reuter, Günter G. A. Marklein: Kunst der Altmark. S. 235.
  6. Claudia Brykczynski: Durchbrecher aller Bande. In: Nikodemusmagazin. Dez. 2009-Feb. 2010, S. 11.
  7. Hans-Joachim Krenzke: Kirchen und Klöster in Magdeburg. Magdeburg 2000, S. 96.
  8. Claudia Brykczynski: Linientreu. In: Nikodemusmagazin. Dez. 2012-Feb. 2013, S. 9.
  9. Hannelore Offner, Klaus Schroeder: Eingegrenzt, ausgegrenzt. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961-1989. In: Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Bildende Kunst und Parteiherrschaft in der DDR 1961-1989. Akademie Verlag, Berlin 2000, ISBN 978-3-05-003348-8.
  10. Hannelore Offner, Klaus Schroeder: Eingegrenzt, ausgegrenzt. S. 612.
  11. Zu den Ereignissen rund um die Flucht der Familie Johl: Amadee Vorsteher-Johl: Erinnerungen, Vortrag im Rahmen des Projektes „50 Jahre Mauerbau und die Babelsberger“ von Ulrich Schmelz und Ralf Haufe, gehalten am 12. April 2012 im Kulturhaus Babelsberg.
  12. Günter Johl als Dozent und Lehrer: Hermann Reuter, Günter G. A. Marklein: Kunst der Altmark. S. 325.
  13. Anneliese Fleck: Workuta überlebt. Eine Frau in Stalins Straflager. Hamburg 1994, ISBN 978-3-8132-0444-5, S. 155.
  14. Wolfgang Hütt: Gefördert. Überwacht. Reformdruck bildender Künstler der DDR. Das Beispiel Halle. Verlag: Janos Stekovics, Dößel/ Saalkreis 2004, ISBN 3-89923-073-6.
  15. Werner Schmidt (Hrsg.): Ausgebürgert. Künstler aus der DDR und aus dem Sowjetischen Sektor Berlin. 1949-1989. Argon-Verlag, Berlin 1990, ISBN 3-87024-160-8.
  16. Rainer Zimmermann: Die Kunst der verschollenen Generation. Deutsche Malerei des Expressiven Realismus von 1925 bis 1975. Econ-Verlag, Düsseldorf/ Wien 1984, ISBN 978-3-430-19961-2.
  17. https://www.volksstimme.de/nachrichten/magdeburg/1361926_Schwamm-lueftet-Schinkel-Himmel.html (abgerufen am 6. Februar 2018)
  18. Gabriele Böhm: Evangelische Versöhnungskirche Riesenbeck. In: Kirchen entdecken im Tecklenburger Land. Kirchen-Faltblatt der Reihe Kirchwege, Kirchräume.
  19. Gabriele Böhm: Evangelische Friedenskirche Wersen-Büren. In: Kirchen entdecken im Tecklenburger Land. Kirchen-Faltblatt der Reihe Kirchwege, Kirchräume.
  20. Marga Ristow: Ein Kirchenfenster-Entwurf von Günter Johl. In: Die Zeichen der Zeit. Evangelische Monatsschrift für Mitarbeiter der Kirche. Heft 11, 1956, S. 414417.
  21. Claudia Brykczynski: (K)ein Kommentar. In: Nikodemusmagazin. März-Mai 2013, S. 9.
  22. http://www.die-glocke.de/lokalnachrichten/kreiswarendorf/beelen/Beelens-Heilig-Geist-Kirche-vor-dem-Aus--7f6c2185-e43d-478b-91f1-5f8a4a8a0eac-ds (abgerufen am 6. Februar 2018)
  23. Martin Kornfeld: 50 Jahre. 1959–2009. Ev. Kirche Rothemühle. Rothemühle 2009, S. 19 f.
  24. Werner Wortmann: Martin-Luther-Kirche 1861-1961. S. 58 ff.
  25. Bauunternehmung Anton Schmittlein (Hrsg.): Fortschritt durch Aufbau - Aufbau durch Fortschritt. Festschrift zum 10jährigen Firmenjubiläum. Berlin 1960.

Literaturauswahl




Commons: Günter Johl – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Albersloh, Beelen, Bierde, Ostbevern, Rothemühle:

Stendal (Winckelmann-Museum):


Personendaten
NAME Johl, Günter
KURZBESCHREIBUNG deutscher Maler und Grafiker
GEBURTSDATUM 27. Mai 1908
GEBURTSORT Potsdam
STERBEDATUM 25. November 1965
STERBEORT Berlin



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