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Straub und Huillet waren ein französisches Paar, das gemeinsam Filme machte. Es bestand aus Jean-Marie Straub (* 8. Januar 1933 in Metz; † 20. November 2022 in Rolle, Schweiz[1]) und Danièle Huillet (* 1. Mai 1936 in Paris; † 9. Oktober 2006 in Cholet). Nach mehr als 30 gemeinsam realisierten Filmen setzte Jean-Marie Straub das Werk nach Danièle Huillets Tod fort. Dabei entstanden annähernd 20 weitere Filme, einige davon sehr kurz, alle in Zusammenarbeit mit Barbara Ulrich. Die Filme Straubs und Huillets werden zum Teil kontrovers diskutiert.[2]


Leben


In Straubs Kindheit fällt die Zeit der Besetzung Frankreichs durch das nationalsozialistische Deutschland. Diese historische Situation bedeutete für Straub eine frühe und sicher prägende Berührung mit der deutschen Sprache, deren Erlernen allen Schülern in Lothringen zur Pflicht wurde.

Ab 1954 war Straub in Paris als Assistent tätig bei den Filmregisseuren Abel Gance, Jean Renoir, Jacques Rivette, Robert Bresson und Alexandre Astruc.

1958 floh er nach Deutschland, um der drohenden Einberufung zum Militärdienst im Algerienkrieg zu entgehen.

Seine ersten Jahre in Deutschland verbrachte er auf Reisen – „auf den Spuren von Bach.“ Er wollte nun sein erstes eigenes Filmprojekt verwirklichen. Dieser Film sollte später Chronik der Anna Magdalena Bach heißen. Die Produktion des Films war sehr mühsam. Das Ringen um die Finanzierung dehnte sich aus auf zehn Jahre bis 1967.

Huillet wollte ursprünglich ethnologische Filme drehen. Nachdem sie Straub kennengelernt hatte und sie ein Paar bildeten, beteiligte sich Huillet am Bach-Projekt. Seitdem führten beide Personen in den Filmen gemeinsam die Regie. Von einer Eheschließung gibt es keine Kenntnisse.

1969 siedelten Straub und Huillet nach Rom über. Von da an arbeitete das Paar überwiegend in Italien, produzierte aber weiterhin auch Filme in deutscher oder französischer Sprache.


Stil


Alle ihre Filme sind nach literarischen, musikalischen oder bildnerischen Vorlagen entstanden, die in unterschiedlicher Strenge filmisch verarbeitet wurden. Da ihre ersten Filme Machorka-Muff (1962) und Nicht versöhnt (1964) in Deutschland entstanden, wurden Huillet und Straub seinerzeit dem Neuen Deutschen Film zugerechnet[3], der sich mit dem Oberhausener Manifest 1962 lautstark angekündigt hatte. Frieda Grafe und Enno Patalas schrieben über Machorka-Muff: „Bölls Buch sollte man lesen, weil es sich durch Straubs Film verändert hat. Es wirkt nackter und ernsthafter, weil es jetzt immer mit der letzten Kamerabewegung des Films von sich weg auf Deutschland weist“. Waren die beiden ersten Filme durch die Wahl der Sujets – deutsche Nachkriegsthematiken wie die Kontinuität faschistisch-nationalistischer Denkmuster, gebrochene Biografien, Wiederbewaffnung – und eine gewisse Sprödigkeit im Schauspiel auf den ersten Blick typische Hervorbringungen der Zeit, so stießen der entfremdende, modulationsarme Sprachduktus der Darsteller, die nicht-chronologische Schnitttechnik in Nicht versöhnt und der unkonventionelle Umgang mit den literarischen Vorlagen von Heinrich Böll doch auch unter Kollegen auf Unverständnis und Ablehnung. Auf den Kurzfilmtagen Oberhausen 1963 bzw. den internationalen Filmfestspielen Berlin 1965 wurden die beiden ersten Filme von den Auswahljuries abgelehnt und jeweils nur in Sonderveranstaltungen gezeigt. Der dritte Film, Chronik der Anna Magdalena Bach (1967), wurde ermöglicht durch ein bis dahin beispielloses "Crowd Funding", das von Alexander Kluge, Enno Patalas und der einflussreichen Zeitschrift Filmkritik, aber auch von Heinrich Böll unterstützt wurde. Mit diesem Film, der wenig gemein hatte mit anderen deutschen Filmen seiner Zeit, betraten Huillet und Straub stilistisches und dramaturgisches Neuland. Das sinnliche Zentrum des an konventioneller Filmhandlung armen Films ist die Musik Johann Sebastian Bachs, die hier live vor der Kamera und teils an Originalschauplätzen dargeboten wird – eine kompromisslose und aufwändige Würdigung von Musik in Filmen, die Huillet und Straub in den späteren Filmen Moses und Aron (1974) und Von Heute auf Morgen (1996), beide basierend auf Opern von Arnold Schoenberg, weiterführten.

Stilbildend ist allen Filmen Straub und Huillets, dass sie auf je verschiedene Weise immer mit politischem Einsatz spielen („toute révolution est un coup de dés“ – nach Mallarmés Gedicht über das Wesen des Zufalls), selbst noch in einem Opernfilm nach biblischen Motiven, wie Moses und Aron, den sie Holger Meins gewidmet haben.

Straub und Huillet hatten darüber hinaus ein affektives Verhältnis zur Kino-Technik. So kann man etwa bei den meisten Filmen genau erfahren, mit welchen Kameras, Mikros und welchem Filmmaterial diese gedreht wurden. In den meisten Fällen haben sie Materialien und Drehbücher separat in Buchform oder in Film-Zeitschriften veröffentlicht.

Ästhetisch orientierten sie sich besonders an den dramaturgischen Vorstellungen Bertolt Brechts, etwa indem sie sagten, dass der Schauspieler nicht illusionistisch seine Rolle spielen solle, sondern dass er seine Tätigkeit als das kennzeichne, was sie ist: Zitieren. Sie haben deshalb sehr häufig mit Laiendarstellern gearbeitet, die ihre natürlichen Dialekte an die Stelle perfekt normierter Dialoge setzten. Dennoch zeichnen sich ihre Filme durch eine unglaubliche ästhetische Strenge und formale Rigorosität aus: Jede Einstellung ist genau durchkonstruiert, kein Schnitt ein Zugeständnis an Konventionen. Straub sah sich aber als Traditionalisten und bekundete oft seine Affinität zu klassischen Filmern, wie etwa Kenji Mizoguchi und John Ford.


Umfeld


Zum unterstützenden Umfeld Jean-Marie Straubs und Danièle Huillets gehörten maßgebliche Filmzeitschriften: in Deutschland etwa die in den 60er Jahren von Enno Patalas, Frieda Grafe, Alexander Kluge, Helmut Färber und Ulrich Gregor, später von Harun Farocki und Hartmut Bitmosky u. a. geprägte Filmkritik (wenn auch nicht uneingeschränkt); in Frankreich die Cahiers du Cinéma, deren Autoren Michel Delahaye und Serge Daney, später die Filmkritiker Bernard Eisenschitz, François Albera und Benoît Turquety; in Italien die Filmcritica und vor allem deren Autor Adriano Aprá, der auch lange das Filmfestival in Pesaro leitete und in Straub und Huillets Film Othon (1969) die Titelrolle spielte. Früh fanden die Filme des Paares auch eine Fangemeinde in den USA, vor allem Dank der Unterstützung des Arthouse-Kinobetreibers Dan Talbot, des Filmkritikers Jonathan Rosenbaum und des Kurators Richard Roud, der lange Programmdirektor des Londoner und auch des New Yorker Filmfestivals war und auch die erste Monografie über das Werk schrieb[4].

Zur Besonderheit der Arbeit von Huillet und Straub gehört die oft jahrzehntelange Kontinuität, die sie mit vielen ihrer Mitarbeiter verband. So haben sie den Großteil ihres Werkes mit zwei Kameramännern realisiert: William Lubtchansky (9 Filme) und Renato Berta (bis dato 20 Filme), mit dem Jean-Marie Straub auch heute noch zusammenarbeitet. Der Tonmeister Louis Hochet war zwischen 1967 und 1998 für die Tonaufnahmen bei 15 ihrer Filme verantwortlich, darunter die von live aufgenommener Musik bestimmten Filme Chronik der Anna Magdalena Bach (1967),[5] Moses und Aron (1974)[6] und Von Heute auf Morgen (1996),[7] mit denen jeweils neue Wege bei der Einbindung von Musik in einen Film beschritten wurden. Eine ebenso prägende Verbindung bestand mit dem toskanischen Ort Buti, der vor allem für die auf Cesare Paveses Dialogen mit Leuko basierenden Filme als Drehort diente, sowie mit dem dort ansässigen Teatro Francesco di Bartolo, dessen Ensemble bei insgesamt zehn Filmen mitwirkte.

Ihrem kreativen und freundschaftlichen Umfeld zollten Huillet und Straub oft dadurch Anerkennung, dass sie einzelne Filme Freunden und Mitstreitern widmeten, wie zum Beispiel den Filmemachern Peter Nestler, Frans van de Staak, Holger Meins und Jean-Luc Godard oder ihrem langjährigen Kameramann Renato Berta. Straub und Huillet wurden ihrerseits wiederum öfter zum Gegenstand von Filmen anderer. Zu denen, die über sie und ihre Arbeit Filme gemacht haben, gehören Harun Farocki (Jean-Marie Straub und Danièle Huillet bei der Arbeit an einem Film nach Franz Kafkas Romanfragment "Amerika", 1983), Pedro Costa (Où gît votre sourire enfoui?, 2001) und Peter Nestler (Verteidigung der Zeit, 2007).

Dass die Filme Straub und Huillets nicht in Vergessenheit gerieten, verdankte sich oft der Initiative einzelner Kinobetreiber und Filmverleiher, Journalisten und Kuratoren. In Deutschland spielte dabei zum Beispiel der Filmverleiher Manfred Salzgeber eine wichtige Rolle, der in den 1980er und 90er Jahren mehrere, auch ältere Filme Huillet-Straubs zum Teil erstmals in deutsche Kinos brachte. Journalisten wie Rainer Rother, Wolfram Schütte und Peter Kammerer sorgten für eine gelegentliche Wahrnehmung in den Feuilletons der Tageszeitungen. Im deutschsprachigen Raum wurde die Sichtbarkeit des Werks am kontinuierlichsten durch die Programmarbeit des Österreichischen Filmmuseums Wien und der Viennale sowie des Filmmuseums München gewährleistet. Beide Institutionen verfügen auch über Kopien eines namhaften Anteils der Filme.


Rezeption


Die Filme haben bei der Kritik teilweise große Anerkennung gefunden, oft aber auch heftige Ablehnung erfahren. Zwar hatten die meisten Filme Straub-Huillets ihre Premiere auf bedeutenden internationalen Filmfestivals (Cannes, Berlin, Locarno, Venedig), einem breiteren Publikum sind sie jedoch nicht bekannt geworden, da sie entweder keine oder nur eine zeitlich oder regional eng begrenzte Kinoauswertung erfuhren. Es gibt jedoch starke regionale Unterschiede in der Rezeptionsgeschichte einzelner Filme. Die in Deutschland am breitesten wahrgenommenen Filme des Paares waren vermutlich Moses und Aron (1974), nach der gleichnamigen Oper von Arnold Schönberg, der am 29. März 1975[8] in den dritten Programmen HR III, NDR III und WDR III im deutschen Fernsehen ausgestrahlt und später mehrfach wiederholt wurde, sowie Klassenverhältnisse (1983), nach Franz Kafkas Romanfragment "Der Verschollene" ("Amerika"), der im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin 1984 Premiere hatte und mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde.

Von Seiten des klassischen Erzählkinos wurde und wird den Filmen oft mit Unverständnis begegnet. Besonders in den ersten Jahrzehnten des straub-huilletschen Filmschaffens wurde von dieser Seite auch vielfach der Vorwurf des Dilettantismus gegen sie erhoben. Eine Kritik, die den Kontinuitätsbegriff und die narrativen Konventionen des klassischen Kinos als Wertsetzung zugrunde legt, findet im straub-huilletschen Kino zahlreiche Brüche, die sie nur als Regelverstöße werten kann.

Weiterer Kritikpunkt ist die angebliche Unemotionalität der Filme. Vortrag sowie Gestik und Mimik der Schauspieler seien ausdruckslos, anti-dramatisch und absichtlich langweilig.

Dagegen lässt sich einwenden, dass sich die besondere Art des Vortrags aus der an Brecht orientierten Theorie ableitet. So kann die Praxis des Zitierens nur verstanden werden, wenn man die Theorie und ihre Forderungen akzeptiert. Dabei geht es im Grunde um eine Absage an das manipulative, illusionistische Potenzial des Kinos, zugunsten einer einfachen und transparenten Darstellung. Straubs Bekenntnis zu Brechts Verfremdungseffekt ist auch eine Absage an professionelle Schauspieler-Virtuosität.[2]

Die Schauspieler sollen keine falsche Emotion vortäuschen. Wenn ihr Vortrag aber emotional wird, so erscheint diese Emotion im Film nicht als Intention des Autors, sondern echt – oder filmisch gesprochen: dokumentarisch. Die Emotionalität des Zuschauers soll ebenfalls nicht dem Plan des Autors unterliegen. Die Filme haben nicht das Ziel, eine emotionale Reaktion der Zuschauer bewusst zu evozieren. Vielmehr wird dem Zuschauer eine eigene und freie Reaktion erlaubt. Hier gilt also, was auch über Bressons Filme gesagt wurde: Diese Filme sind unemotional, damit der Betrachter emotional sein kann.

Der letzte gemeinsame Film von Straub und Huillet, Quei loro incontri, war Bestandteil des Wettbewerbs beim 63. Filmfestival von Venedig 2006. Auf dem Festival wurde Straub und Huillet ein Sonderpreis verliehen „für die Erfindung filmischer Sprache in ihrem Werkganzen.“ Das wurde gewertet als späte Anerkennung der Filmbranche in Person von Jurypräsidentin Catherine Deneuve. Doch bei der Verleihung kam es zu einem Eklat: Straub und Huillet waren nicht anwesend, stattdessen las die Schauspielerin Giovanna Daddi eine von Straub verfasste Stellungnahme vor. Darin hieß es, solange es den amerikanischen imperialistischen Kapitalismus gebe, könne es nie genug Terroristen in der Welt geben. Die Aussage sorgte für Proteste beim Festival und in der italienischen Presse. Die Jury diskutierte, den Preis wieder abzuerkennen. Verteidiger des straub-huilletschen Kinos geben zu bedenken, dass Straubs private, polemische Äußerungen nicht die Wertschätzung des filmischen Werks beeinflussen sollten.

Nachdem es mit dem Tod Danièle Huillets (2006) zunächst stiller wurde um das Werk, erfuhren die Filme zwischen 2016 und 2019 im Zuge mehrerer vollständiger Retrospektiven u. a. in New York, Paris, Madrid, Berlin, London, Lissabon und Tokio neue internationale Anerkennung. Den Retrospektiven vorangegangen waren die erfolgreichen Bemühungen der BELVA-Film (Jean-Marie Straub, Barbara Ulrich) um die Restaurierung und Digitalisierung des Gesamtwerks.


Filmografie



Veröffentlichungen


Zu einzelnen Filmen:

Literatur



Gesamtdarstellungen (chronologisch geordnet)



Erwähnungen in Enzyklopädien etc. (chronologisch geordnet)



Zu einzelnen Filmen



Chronik der Anna Magdalena Bach


Othon


Geschichtsunterricht


Einleitung zu Arnold Schoenbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene


Moses und Aron


Toute révolution est un coup de dés


Dalla nube alla resistenza


Trop tôt, trop tard (Zu früh / Zu spät)


Klassenverhältnisse


Der Tod des Empedokles


Paul Cézanne


Antigone


Lothringen!


Von Heute auf Morgen


Sicilia!


Une visite au Louvre




Einzelnachweise


  1. Le cinéaste Jean-Marie Straub est mort. In: Le Monde.fr. 20. November 2022 (lemonde.fr [abgerufen am 20. November 2022]).
  2. Gerhard R. Koch: Das Sparsame ausdünnen. Askese aus Leidenschaft: Dem Filmemacher Jean-Marie Straub zum Siebzigsten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 6 vom 8. Januar 2003, S. 36.
  3. Robert Fischer, Joe Hembus (Hrsg.): Der Neue Deutsche Film 1960-1980. Goldmann, München 1981, ISBN 3-442-10211-1, S. 2224.
  4. Richard Roud: Jean-Marie Straub. Secker & Warburg, London 1971.
  5. Chronik der Anna Magdalena Bach, auf viennale.at, abgerufen am 9. Februar 2021
  6. Moses and Aaron: On the Aesthetics of Equal Distribution, auf sensesofcinema.com, abgerufen am 9. Februar 2021
  7. Von Heute auf Morgen, auf viennale.at, abgerufen am 9. Februar 2021
  8. Moses und Aron, auf viennale.at

На других языках


- [de] Straub-Huillet

[en] Straub–Huillet

Jean-Marie Straub (French: [stʁob]; born 8 January 1933) and Danièle Huillet (pronounced [ɥijɛ]; 1 May 1936 – 9 October 2006) were a duo of French filmmakers who made two dozen films between 1963 and 2006. Their films are noted for their rigorous, intellectually stimulating style and radical, communist politics. Though both were French, they worked mostly in Germany and Italy. From the Clouds to the Resistance (1979)[1] and Sicilia! (1999)[1] are among the duo's best regarded works.

[ru] Штрауб и Юйе

Жан-Мари Штрауб (фр. Jean-Marie Straub, 8 января 1933, Мец) и Даниэль Юйе (фр. Danièle Huillet, 1 мая 1936 в Париже — 9 октября 2006 в Шоле, Мен и Луара) — французские кинорежиссеры, совместно снимавшие фильмы в период с 1962 года до смерти Юйе в 2006 году и последовательно и радикально отстаивающие чистоту киноязыка.



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