Wolfgang Herrndorf (* 12. Juni 1965 in Hamburg; † 26. August 2013 in Berlin)[1][2] war ein deutscher Schriftsteller, Maler, Illustrator und Karikaturist.
Leben, Tod und Grabdenkmäler
Wolfgang Herrndorf wuchs in Norderstedt auf, wo er das Coppernicus-Gymnasium besuchte.[3] Er studierte Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Er arbeitete als Illustrator und Autor unter anderem für das Fanzine Luke & Trooke, den Haffmans Verlag und die Satirezeitschrift Titanic.[4]
Herrndorf, der in Berlin lebte, schrieb regelmäßig im Internetforum Wir höflichen Paparazzi, dem als „Hinterland und Resonanzraum für sein Schreiben“ ein großer Einfluss auf Herrndorf zugeschrieben wird,[5] und er beteiligte sich mit Beiträgen am Weblog Riesenmaschine. Er war Mitglied der Autoren-Fußballnationalmannschaft Autonama.
Nachdem bei ihm im Februar 2010 ein bösartiger Hirntumor (Glioblastom) festgestellt worden war, begann Herrndorf ein digitales Tagebuch, den Blog Arbeit und Struktur, in dem er über sein Leben mit der tödlichen Krankheit berichtete. Es erschien posthum im Dezember 2013 bei Rowohlt in Buchform, wie es sich der Autor gewünscht hatte.[6]
Herrndorf beging am 26.August 2013 in Berlin Suizid.[2][7] An der mutmaßlichen Stelle seines Todes in der Nähe des Strandbads Plötzensee wurde ein Metallkreuz aufgestellt (52°32′52,5″N, 13°19′5,3″O52.5479113.31815), wie Herrndorf es in Arbeit und Struktur beschrieb.[8][9] Herrndorf wurde auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt (Abt. 7-2-7). Auf seiner Grabstätte stand vor dem Grabstein zunächst auch das besagte, später dorthin verlegte Metallkreuz, das aber entwendet wurde und seit 2019 fehlt. Der Revolver, mit dem sich Herrndorf das Leben nahm, liegt seit 2016 im Deutschen Literaturarchiv Marbach.[10]
Literarisches Werk
2002 erschien Herrndorfs Debütroman In Plüschgewittern im Zweitausendeins-Verlag, bei dem es sich – obwohl der Protagonist knapp 30-jährig ist – laut Autor um einen „Adoleszenzroman“[11] handelt. 2004 las Herrndorf auf Einladung des Jurors Klaus Nüchtern bei der Verleihung des Ingeborg-Bachmann-Preises, wo er den Kelag-Publikumspreis erhielt.[12] Die Kritik hatte auf den Roman zunächst abwartend reagiert.[13] Später wurde der Roman der Popliteratur zugeordnet, eine überarbeitete Fassung von In Plüschgewittern erschien 2008 als Taschenbuch im Rowohlt Verlag. 2007 brachte der Eichborn Verlag unter dem Titel Diesseits des Van-Allen-Gürtels eine Reihe zusammengehöriger Kurzgeschichten Herrndorfs heraus; im selben Jahr erschien im SuKuLTuR-Verlag ein von Herrndorf erfundenes Interview mit einem (nicht vollkommen vertrauenswürdigen) Kosmonauten, das Science-Fiction-Elemente enthält. Der unzuverlässige Erzähler ist ein wiederkehrendes Element in Herrndorfs Prosa, das auf den Einfluss Vladimir Nabokovs zurückgeht.[14]
Sein großer schriftstellerischer Erfolg begann im Jahr 2010 mit der Veröffentlichung von Tschick im Rowohlt Berlin Verlag, einem Bildungsroman, dessen Protagonisten etwa 14 Jahre alt sind. Das Buch stand über ein Jahr lang auf der deutschen Bestsellerliste.[15] Im November 2011 erschien der Roman Sand, der Merkmale des Kriminalromans, des Gesellschaftsromans und des historischen Romans vereinigt.[16] Laut Herrndorf wäre es auch möglich, Sand dem „Genre des Trottelromans“[17] zuzuordnen. Nachdem 2011 bereits Tschick für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert gewesen war, wurde Herrndorf dieser Preis 2012 für Sand schließlich zugesprochen.[18] Den Preis nahm in Vertretung sein Freund Robert Koall entgegen. Im selben Jahr gelangte Sand auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises.
Werk als Maler und Illustrator
Ein von Herrndorf für die Titanic gemaltes Bild des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl im Stil von Vermeer erlangte 1996 Bekanntheit und wurde als Plakat verkauft.[19] 1997 erschien im Haffmans Verlag der Wandkalender Klassiker Kohl 1998 mit zwölf Porträts Kohls im Stil berühmter Maler wie Cranach, Magritte und Baselitz. Kohl wurde der Kalender auf der Frankfurter Buchmesse gezeigt.[20]
Seit 2015 wurden Herrndorfs Bilder in Ausstellungen im Literaturhaus Berlin und Literaturhaus München sowie im Kunsthaus Stade gezeigt. Herrndorfs Witwe Carola Wimmer war an der Werkauswahl beteiligt.[21]
Posthume Veröffentlichungen und Rezeption
2014 veröffentlichte Rowohlt die Fortsetzung von Tschick aus der Sicht von Isa als unvollendeten Roman unter dem Titel Bilder deiner großen Liebe. Im Nachwort von Kathrin Passig und Marcus Gärtner steht, Herrndorf habe selbst noch der Veröffentlichung zugestimmt und auch den Titel selbst festgelegt. Unter der Regie von Jan Gehlers wurde das Buch 2015 am Staatsschauspiel Dresden als Theaterstück uraufgeführt.[22] Der Bayerische Rundfunk produzierte 2019 ein Hörspiel aus Herrndorfs letztem Text Bilder deiner großen Liebe, der Vorgeschichte zum Roman Tschick.[23]
Bücher
Heribert Fassbender – Gesammelte Werke. Band IX/5: Europameisterschaft 1996, Italien–Deutschland. (Hrsg. Wolfgang Herrndorf und Jürgen Roth). Klartext, Essen 1998. ISBN 978-3-88474-658-5
In Plüschgewittern. Roman. Haffmans bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-86150-504-5; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2012, ISBN 978-3-499-25883-1.
Diesseits des Van-Allen-Gürtels. Eichborn, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-8218-5794-7; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2009, ISBN 978-3-499-24777-4.
Die Rosenbaum-Doktrin. Wolfgang Herrndorf im Gespräch mit Friedrich Jaschke. SuKuLTuR, Berlin 2007, ISBN 978-3-937737-72-0 (= Schöner Lesen, Heft 64)
Tschick. Roman. Rowohlt Berlin, Berlin 2010, ISBN 978-3-87134-710-8; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2012, ISBN 978-3-499-25635-6.
Sand. Roman. Rowohlt Berlin, Berlin 2011, ISBN 978-3-87134-734-4; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2013, ISBN 978-3-499-25864-0.
Arbeit und Struktur. Rowohlt Berlin, Berlin 2013, ISBN 978-3-87134-781-8; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2015, ISBN 978-3-499-26851-9.
Bilder deiner großen Liebe: Ein unvollendeter Roman. Rowohlt Berlin, Berlin 2014, ISBN 978-3-87134-791-7; Rowohlt Taschenbuch, Reinbek 2015, ISBN 978-3-499-26909-7.
Stimmen. Texte, die bleiben sollten. Rowohlt Berlin, Berlin 2018, ISBN 978-3-7371-0057-1.
Ausstellungen
2017: Das unbekannte Kapitel. Wolfgang Herrndorfs Bilder. Kunsthaus Stade, 24. Juni bis 3. Oktober 2017
2016: „Zitate“ – Bilder von Wolfgang Herrndorf. Literaturhaus München, 6. Juli bis 25. September 2016[24]
2015: Wolfgang Herrndorf: Bilder. Literaturhaus Berlin, 13. Juni bis 6. September 2015[25]
Auszeichnungen
2004: Kelag-Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb für Diesseits des Van-Allen-Gürtels[26]
2008: Deutscher Erzählerpreis für Diesseits des Van-Allen-Gürtels
2011: Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse, Kategorie Belletristik mit Tschick
2011: Clemens-Brentano-Preis für Tschick
2011: Deutscher Jugendliteraturpreis für Tschick
2012: Hans-Fallada-Preis für Tschick
2012: Preis der Leipziger Buchmesse für Sand (Kategorie: Belletristik)
2012: Literaturpreis des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft
2013: Sonderpreis der Goldenen Blogger
Literatur
Jan Standke (Hrsg.): Wolfgang Herrndorf lesen (= Beiträge zur Didaktik der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, Band 1). Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2016, ISBN 978-3-86821-683-7.
Matthias N. Lorenz: „Germanistenscheiß“: Beiträge zur Werkpolitik Wolfgang Herrndorfs. Frank & Timme, Berlin 2018, ISBN 978-3-7329-0390-0.
Wolfgang Herrndorf im Munzinger-Archiv(Artikelanfang frei abrufbar)
Die mit Herrndorf befreundete Autorin Kathrin Passig teilte bereits vor der Bestätigung durch die Medien per Twitter mit, dass Herrndorf Suizid begangen habe; vgl. Twitter-Mitteilung von Kathrin Passig, 27. August 2013, 13.55Uhr. Dies wurde auch als Schlusseintrag in Herrndorfs Blog Arbeit und Struktur übernommen.
Gerrit Bartels:Eine schöne Stelle zum Sterben. In: Der Tagesspiegel Online. 24.Juli 2016, ISSN1865-2263 (tagesspiegel.de[abgerufen am 19.Juni 2022]).
Preisträger 2004.In:Bachmannpreis orf.at Archiv.Abgerufen am 16.November 2021.
In Plüschgewittern habe „außer Gustav Seibt doch kein Mensch zur Kenntnis genommen“, fasst Tex Rubinowitz die frühe Rezeption von Herrndorfs literarischem Debüt zusammen (Interview in Die Welt, 9. Juli 2014).
Wolfgang Schneider: »Ich bin kein Bohemien«. In: Börsenblatt 174, Heft10 (8. März 2006), S.35f.
Oliver Maria Schmitt:Wolfgang Herrndorf: Herrndorf wurde zur Allzweckwaffe für die „Titanic“-Redaktion. In: Die Zeit. 11.Juni 2015, ISSN0044-2070 (zeit.de[abgerufen am 4.Dezember 2019]).
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