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Geschichte der Juden in Schleswig-Holstein


In der mehrheitlich christlich getauften deutschen Bevölkerung des Mittelalters litt die jüdisch-gläubige Minderheit über Jahrhunderte unter massiver Verfolgung und Drangsalierung. Dies begann sich erst mit dem Zeitalter der Aufklärung zu ändern, als im Zuge der jüdischen Emanzipation die Integration und Gleichberechtigung der Juden nicht mehr hauptsächlich unter wirtschaftlichen, sondern auch unter kulturellen und humanistischen Aspekten betrachtet wurde. So galt in Preußen unter Friedrich II. begrenzte Toleranz gegenüber den sog. „Schutzjuden“. Die Juden wiederum waren eher geneigt, sich durch Assimilation (z. B. durch christliche Taufe und Namensänderung) an die christliche Umwelt anzupassen (s. hier und im Folgenden Geschichte der Juden in Deutschland). Im Zuge der Napoleonischen Kriege übertrug die Regierung das Prinzip der Emanzipation der Juden, das in Frankreich bereits seit 1791 galt, auch auf die besetzten Gebiete Deutschlands. So wurden zum Beispiel mit dem Preußischen Judenedikt von 1812 die in Preußen lebenden Juden preußische Staatsbürger, allerdings noch mit erheblichen Einschränkungen. Die neuen Verfassungen des Deutschen Bundes von 1849 und 1860, führten eine strikte Trennung von Staat und Kirche ein und stellten damit die Juden gleich. Die Reichsverfassung von 1871 sollte – zumindest juristisch – endgültig alle deutschen Juden zu gleichberechtigten Bürgern machen.

Jüdisches Leben in Schleswig-Holstein ist seit rund 700 Jahren überliefert. Die Existenz jüdischer Gemeinden ist aber erst seit etwa 400 Jahren belegt.[1] Das Judentum Schleswig-Holsteins war bis zur Emanzipation überwiegend kleinstädtisch.[2] Auch in Schleswig-Holstein gab es im 19. Jahrhundert zunächst eine leichte Verbesserung der Lage der Juden und zwar im Rahmen ihrer Emanzipation durch das Staatsgrundgesetz für Schleswig-Holstein vom 15. September 1848, das allerdings nur bis 1851 gültig war.[3] Diese Emanzipation galt nach weiteren Anläufen in Lübeck (1848/52), Schleswig (1854) und Holstein (1863) mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 formal als abgeschlossen.

Doch die juristische Gleichstellung fand in der christlichen Bevölkerungsmehrheit nur begrenzte Zustimmung und wurde im Alltag nur zögerlich umgesetzt. Eine wachsende Zahl von Menschen, gerade im Bürgertum, vertrat nicht nur religiös motivierte, anti-jüdische Auffassungen, sondern auch rassistisch-antisemitisches Gedankengut. Tausende Bürger organisierten sich in antisemitischen Organisationen, wie dem – im Bildungsbürgertum und in der Politik einflussreichen – 'Alldeutschen Verband' und später in der NSDAP, um die formale Gleichbehandlung der Juden, bzw. der Nichtarier zu bekämpfen. Kurz: „Im Alltag wurden die Angehörigen der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgegrenzt, beruflich massiv benachteiligt und in ihrem Umfeld isoliert.“.[4] Dies wirkte sich auch auf die Bereitschaft der Juden aus, ins Exil zu gehen.

Während 1925 in Deutschland noch 563.733 Personen oder 0,9 % der Bevölkerung sich zu einer jüdischen Religionsgemeinschaft zugehörig fühlten, ging der Anteil unter dem Einfluss national-sozialistischer Verfolgung bereits bis zur Volkszählung vom 16. Juni 1933 auf 499.682 (0,8 %) zurück. 1939 hatte, trotz der inzwischen erfolgten territorialen NS-Expansion des Deutschen Reiches, die Zahl der Juden im alten Reichsgebiet nochmals drastisch auf 233.973 (0,34 %) abgenommen. Und dies, obwohl seit 1935 die rassistisch erweiterte NS-Definition des sog. Geltungsjuden den Kreis der behördlich als Juden erfassten Personen erheblich erweiterte und nicht mehr auf das jüdische Glaubensbekenntnis beschränkte (s. Arisierung). Nach der Dt. Minderheiten Volkszählung vom 17. Mai 1939 hatten Juden unter Strafandrohung detailliert auf sog. 'Ergänzungsbögen' anzugeben, ob zu ihren Vorfahren auch noch ein oder zwei jüdische Großelternteile zählten. Aufgrund dessen stufte der NS-Staat diese Personen entsprechend z. B. als 'Volljude' ('Rassejuden') oder 'Halbjude' ein. Die jüdisch Verfolgten, die die Zeichen der Zeit erkannten, versuchten aus Deutschland zu fliehen. So auch die Familie des Kieler Rabbiners Posner. Deren Tochter Rachel, machte noch im Dezember 1932, kurz vor der Auswanderung der Familie nach Israel, ein Foto aus dem Fenster ihrer Kieler Wohnung am Sophienblatt 60. Das Foto zeigt den auf dem Fensterbrett stehenden Chanukkaleuchter der Familie Posner vor dem Hintergrund des gegenüberliegenden Gebäudes der NSDAP-Kreisleitung mit Hakenkreuzflagge. Es ging im 21. Jahrhundert um die Welt, als Symbol der der Konfrontation von NS-Regime und der Hoffnung auf das Fortbestehen des Judentums.

Der Chanukka-Leuchter der Kieler Familie Posner
Rachel Posner, 1932
Yad Vashem, Jerusalem

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Der Chanukka-Leuchter der Kieler Familie Posner (Rückseite)
Rachel Posner, 1932

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Demnach lebten in Schleswig-Holstein 1939 insgesamt 1.742 'jüdisch-stämmige' Menschen, davon 755 sog. 'Volljuden' ('Rassejuden'), 473 'Jüdische Mischlinge 1. Grades' und 514 'Jüdische Mischlinge 2. Grades'. Von den 'Volljuden' galten 575 als 'Glaubensjuden', 136 als Angehörige evangelischer Landes- oder Freikirchen, und 7 als Römisch-katholische Christen[5]. Unter dem erhöhten Verfolgungsdruck wanderten viele Juden aus. Außerdem gab es einen 'Sterbeüberschuß' der überalterten jüdischen Bevölkerung sowie erste Deportationen. So wurden zum Beispiel 17.000 vorrangig männliche erwachsene polnische Juden am 28. und 29. Oktober 1938 in Zügen aus Deutschland nach Polen deportiert.[6] Die Massenabschiebung polnischer Juden aus Schleswig-Holstein scheiterte allerdings zunächst an bürokratischen Pannen. Sie wurde im Frühjahr 1939 jedoch wieder aufgenommen, indem man ihnen drohte, sie in KZ's zu deportieren, wenn sie nicht selbst zeitnah Deutschland verlassen würden. So flohen die meisten Betroffenen nach Polen, Holland, Frankreich und Belgien, wo sie die deutsche Besatzungsmacht nach Kriegsbeginn abermals inhaftierte und in Vernichtungslager deportierte. Die wenigen in Kiel verbliebenen polnischen Juden deportierte die Gestapo zunächst in ein 'Judenhaus' nach Leipzig und von dort aus in Konzentrationslager[7].

In den Großstädten lag der Anteil der Juden relativ höher als auf dem Lande, was nicht nur auf der vergleichsweise höheren Attraktivität des Stadtlebens beruhte, sondern auch die jahrhundertelange behördliche Gängelung der Judenansiedlung widerspiegelte. Berlin wies zum Beispiel einen jüdischen Anteil von 3,8 %, Frankfurt am Main 4,7 %, Breslau 3,2 %, Köln 2,0 %, Hamburg 1,5 %, Hannover 1,1 % und Kiel 0,2 % auf. Generell gab es ein Süd-Nord-Gefälle des Anteils der Juden an der Gesamtbevölkerung Deutschlands[8]. In den beiden Großstädten Schleswig-Holsteins, Lübeck und Kiel, konzentrierten sich dementsprechend 64 % der jüdischen Bevölkerung, die übrigen Juden verteilten sich auf über 123 kleinere Städte und Dörfer[9].

In Schleswig-Holstein wohnten 1933 mit etwa 1.900 Menschen relativ wenig Juden. Sie bildeten nur 0,13 % der schleswig‐holsteinischen Gesamtbevölkerung oder 0,34 % aller Juden des Deutschen Reiches[10]. Innerhalb eines Jahrzehnts verminderte sich der Anteil angesichts zunehmend massiveren Verfolgung weiter. Im November 1942 lebten in Schleswig-Holstein nur noch 59 Juden, und zwar auf 18 Orte verteilt. Über 1.600 waren schon deportiert worden, die meisten von ihnen wurden ermordet. Somit hatte das NS-Regime sein Ziel erreicht, Schleswig-Holstein „judenrein“ zu machen[11]. Nach dem Krieg befanden sich in Schleswig-Holstein nach der Volkszählung vom 29. Oktober 1946 – bedingt durch die Fluchtbewegungen – wieder insgesamt 949 Personen jüdischen Glaubens ('Israeliten'), davon 464 in Vertriebenenlagern (D.P.-Lager)[12].


Judenverfolgung im NS-Regime (1933–1945)



Die Täter


Abgesehen von den für den Holocaust verantwortlichen NS-Tätergruppen, die in der folgenden Tabelle aufgelistet werden, nahmen einzelne der weiter unten aufgeführten Personen auch im Rahmen von NS-Tätergruppen an der Massenvernichtung von Juden in den besetzten Gebieten (inklusive der dorthin aus dem Deutschen Reich deportierten Juden), z. B. im Getto von Riga, im sog. Reichskommissariat Ostland sowie im Getto von Minsk in der Ukraine teil. Die folgende (unvollständige) Tabelle listet diese NS-Tätergruppen exemplarisch auf.

Die Tabelle umfasst nur größere und exemplarische kleinere Massenerschießungen.[13] Abkürzungen für Einsatzgruppe = EG, Einsatzkommando = EK, Litauische Aktivistenfront = LAF, Organisation Ukrainischer Nationalisten = OUN, Polizeibataillon = PB, Sonderkommando = SK, Sicherheits- und Ordnungspolizei = OP. (Quelle: wikipedia).

OrtDatumTätereinheitOpfer
Garsden24. Juni 1941EK Tilsit200 Männer, eine Frau
Białystok27. Juni 1941PB 3092.000 Männer und Frauen
Lemberg30. Juni bis 2. Juli 1941OUN4.000 Männer
Dünaburg1./2. Juli 1941EK 1a1.150 Männer
RigaAnfang Juli 1941EG A, litauische Hilfspolizei400
SolotschiwAnfang Juli 1941SK 4b, OUN, SS-Wikinger2.000
Ternopol7. Juli 1941SK 4b, OUN800
Luzk2. Juli 1941SK 4a1.160 Männer
Lemberg2.–6. Juli 1941EK 5, 6, z. b. V.2.500 Männer
Kaunas4.–6. Juli 1941EK 32.977 Männer
Brest6. Juli 1941PB 3074.000 Männer
Białystok8. Juli 1941PB 316, 3223.000 Männer
Mitau15. Juli 1941EK 21.550
Kaunas25.–28. Juli 1941LAF3.800
Lemberg29.–31. Juli 1941OUN2.000
Pinsk7./8. August 1941SS-Kavalleriebrigade9.000
Kamenez-Podolsk27.–29. August 1941PB 320, SS26.500
Shitomir19. September 1941EG C, D3.145
Kiew, Babyn Jar29./30. September 1941SK 4a, PB 45, 31433.771
Belarusab Oktober 1941707. Infanterie-Division19.000
Dnepropetrowsk13./14. Oktober 1941PB 31411.000
Rowno5./6. November 1941EK 5, PB 32015.000
Riga30. November, 7./8. Dezember 1941alle PB, Kommando Arājs26.000
Simferopol13.–15. Dezember 1941EG D, Wehrmacht12.000
Charkowab 1. Januar 1942PB 31412.000
Minsk28.–30. Juli 1942OP10.000
Luzk19.–23. August 1942OP14.700
Wladimir Wolynsk1.–3. September 1942OP13.500
Brest15./16. Oktober 1942OP, PB 31019.000
Pinsk28. Oktober 1942PB 306, 31018.000

Einzeltäter in Schleswig-Holstein (1933–1945)


Täter, die nach 1945 in Schleswig-Holstein wirkten


Denunzianten


Oft gerieten verfolgte Juden erst durch Denunziation in das Visier der Gestapo. Im Familienzusammenhang waren Männer mit Abstand die häufigsten Denunziationsopfer. Sie wurden am häufigsten durch Frauen denunziert, nicht zuletzt aus der eigenen Familie. Im Bereich des Sondergerichts Kiel kamen 12 % aller Anzeigen aus der eigenen Familie. Sie wurden zu 92 % von Frauen erstattet. Die meisten dieser sogenannten 'Judasfrauen' wurden nach dem Krieg nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern lebten unbehelligt weiter.[50][51][52][53]


Die Opfer


Für eine Namensliste von verfolgten Juden in Schleswig-Holstein in der Zeit von 1933–1945 s. Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933–1945

Einzelschicksale verfolgter Juden in Schleswig-Holstein

Erinnerungsorte



Synagogen in Schleswig-Holstein


Ehemalige jüdische Schule und Synagoge in Rendsburg, heute Jüdisches Museum, RD
Ehemalige jüdische Schule und Synagoge in Rendsburg, heute Jüdisches Museum, RD

Während der Novemberpogrome 1938 in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – auch Reichspogromnacht oder zynisch (Reichs-)Kristallnacht genannt – wurden vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden in Deutschland verübt und über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört, davon mindestens vier in Schleswig-Holstein. Die Pogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.

Liste alter Synagogen in Schleswig-Holstein

  1. Synagoge (Ahrensburg), beim Novemberpogrom 1938 zerstört
  2. Synagoge Elmshorn, beim Novemberpogrom 1938 zerstört
  3. Synagoge Goethestraße Kiel, beim Novemberpogrom 1938 zerstört
  4. Synagoge (Lübeck), beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung zerstört
  5. Synagoge (Rendsburg), beim Novemberpogrom 1938 wurde die Inneneinrichtung zerstört
  6. Synagoge (Bad Segeberg), während Reichspogromnacht verwüstet, 2004 wurde ein neues Gemeindezentrum eingeweiht

Jüdische Friedhöfe in SH


Die Schändung jüdischer Friedhöfe mit Parolen wie „Juden raus“, „Judensau“, „Heil Hitler“, „Wir machen die 7 Millionen voll“ oder mit SS-Runen und Hakenkreuzen erfolgte in Deutschland massenhaft und politisch motiviert in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach Schätzung des Historikers Julius H. Schoeps wurden in dieser Zeit 80 bis 90 Prozent der damals etwa 1.700 jüdischen Ruhestätten im Deutschen Reich geschändet.[57] Statistische Angaben, wie viele Friedhöfe auch in Schleswig-Holstein davon betroffen waren, liegen nicht vor (s. Einzelberichte zur Geschichte der Friedhöfe unten). Jüdische Friedhöfe wurden auf verschiedene Weise geschändet, zunächst durch direkte Schädigungen, die seit 1938 gehäuft vorkamen. Ab 1942 aber auch durch Aktionen in Rahmen der „Reichsmetallspende“, die einen Vorwand bot, Gitter und andere metallene Objekte von jüdischen Friedhöfen zu entfernen. SA-Männer und Hitlerjugend nutzten die Gelegenheit, dabei auch steinerne Grabmale zu zertrümmern.[57][58] Das „Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschland“ ließ die Verstorbenen exhumieren, um „Schädel- und sonstige Knochenmessungen“ durchzuführen.[59] Mit der Friedhofsschändung wollen die Täter die religiös begründete Dauerhaftigkeit der Grabstätten und die Erinnerung an jüdisches Leben zerstören, dessen symbolische Präsenz tilgen und sowohl die Würde der Verstorbenen als auch diejenige von deren Angehörigen verletzen.[60] Für gläubige Juden ist die Grabschändung besonders schwerwiegend, weil das Grab auf einem jüdischen Friedhof (hebräisch בית קברות Bet ḳvarot „Gräberhaus“ oder hebräisch בית-עלמין Bet-ʿalmin „Ewigkeitenhaus“) für die Ewigkeit gedacht ist. Dies entspricht einem der fundamentalsten Grundsätze der jüdischen Halacha. Die Erdbestattung ist vorgeschrieben und dauerhafte Totenruhe gilt als verbindlich. Anders als im Christentum darf eine Grabstätte nicht neu belegt werden. Eine Exhumierung oder Verlegung eines Grabes ist – von ganz besonderen Umständen abgesehen – nicht zulässig. Eine Störung der Totenruhe bewirkt in der jüdischen Gemeinschaft eine tiefe seelische Betroffenheit und verstärkt teilweise bei Angehörigen eine anhaltende Trauerstörung. Ein Grabstein (hebräisch מצבה Mazewa) symbolisiert die Verpflichtung, Verstorbene nicht zu vergessen. Mit dem Wiederaufleben des Antisemitismus in Deutschland wurden seit Kriegsende abermals über 2.000 jüdische Friedhöfe geschändet. „Die Zerstörung jüdischer Friedhöfe ist kein Ausdruck des Antisemitismus, sie ist er selbst“, kommentierte Theodor W. Adorno die zunehmenden Schändungen jüdischer Friedhöfe bereits in den 1950er Jahren.[61]

Liste jüdischer Friedhöfe in Schleswig-Holstein


„Judenhäuser“ in Schleswig-Holstein


Kiel, Kleiner Kuhberg, 1938–1941
Kiel, Kleiner Kuhberg, 1938–1941

„Judenhäuser“ waren größere Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum, die der NS-Staat ab 1939 als Ghetto-Häuser umfunktionierte. Hier quartierte die Gestapo die – gemäß den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 als „jüdisch-stämmig“ deklarierten – Menschen zwangsweise ein. Die Gebäude waren außen deutlich als sog. „Judenhäuser“ gekennzeichnet und unterlagen der Bewachung der Gestapo. In Kiel konzentrierten sich die Juden im Gängeviertel, insbesondere am Kleinen Kuhberg, wo nach dem Ersten Weltkrieg zugewanderte orthodoxe Juden aus Osteuropa ihre zweite Heimat fanden.[62] Sie verdienten ihren Lebensunterhalt vornehmlich als Hausierer und Kleinhändler.[63] Am Kleinen Kuhberg existierten auch zwei von den Nazis zugewiesene sog. „Judenhäuser“: am Kleinen Kuhberg 25, Ecke Feuergang 2,[64] und in der Flämischen Straße 22a. Das Haus am Kleinen Kuhberg 25 war 1916 durch den jüdischen Händler Alter Weber erworben worden. Nachdem dieser 1939 inhaftiert worden war, hatte die Stadt Kiel es zu einem „Judenhaus“ umfunktioniert. Es lag in der „Arme-Leute-Gegend“ Kiels, am heutigen Ziegelteich, und die Räume verfügten weder über eine Wasserleitung noch über einen Abfluss.[65] Am 6. Dezember 1941 wurden die ersten 977 Juden aus dem Raum Hamburg, Lüneburg und Schleswig-Holstein in einem Sammeltransport in das Sammellager 'Jungfernhof' nahe Riga deportiert, darunter mehr als 40 aus Kiel und Umgebung sowie 86 Lübecker Juden. Ein zweiter Sammeltransport mit insgesamt 801 Juden aus der gleichen Region führte am 19. Juli 1942 direkt in das KZ Theresienstadt. Die letzten 'jüdisch-stämmigen' Bewohner dieser Häuser in Schleswig-Holstein wurden Mitte 1943 deportiert. Die meisten Deportierten, welche die Ghettos von Riga und Minsk überlebten, starben später in anderen Vernichtungslagern (siehe auch: Judenhäuser in der Stadt Braunschweig). Insgesamt wurden ca. 240 Kieler Juden Opfer der NS-Verfolgung.[62]


KZ-Außenlager in Schleswig-Holstein


  1. KZ-Außenlager Kaltenkirchen, Außenlager des KZ Neuengamme
  2. KZ-Außenlager Kiel, temporäres Außenlager des KZ Neuengamme
  3. KZ-Außenlager Husum-Schwesing, im Schwesinger Ortsteil Engelsburg, nordöstlich von Husum; Außenlager von Neuengamme
  4. KZ Ahrensbök, 1933–34, ein frühes („wildes“) Konzentrationslager für NS-Gegner – größtenteils Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter
  5. KZ Kuhlen, frühes („wildes“), in Kuhlen bei Rickling in Schleswig-Holstein, 18. Juli 1933 bis 27. Oktober 1933. Inhaftierte waren überwiegend Kommunisten und Sozialdemokraten.
  6. KZ Eutin, ein frühes („wildes“) Konzentrationslager, Juli 1933 bis Mai 1934, überwiegend für Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter und andere dem NS-Regime Missliebige.
  7. KZ-Außenlager Ladelund, im Nov. 1944 ca. 20 km nordöstlich von Niebüll an der deutsch-dänischen Grenze gelegen, als Außenlager des KZ-Neuengamme im Zusammenhang mit dem Bau des so genannten Friesenwalls errichtet.
  8. KZ-Außenkommando Neustadt in Holstein, externe Arbeitseinsätze des KZ Neuengamme; 15 KZ-Häftlingen, die von Dezember 1944 bis 1. Mai 1945 in Neustadt für Bauarbeiten eingesetzt wurden.
  9. KZ-Fürstengrube-Todesmarsch, auch als Todesmarsch von Auschwitz nach Holstein bezeichnet, war ein Todesmarsch von KZ-Häftlingen im Rahmen der Evakuierung des Konzentrationslagers Fürstengrube in Oberschlesien (einem Nebenlager des KZ Auschwitz) sowie weiteren KZ-Häftlingen. Fehlende Ernährung, Krankheiten, Erschöpfung, Misshandlungen und Morde forderten auf diesem Todesmarsch von Januar bis Mai 1945 mit mehreren Zwischenstationen zahlreiche Opfer.

Literatur



Einzelnachweise


  1. Betzholz, Dennis (2021): |1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland - 'Schleswig-Holstein tut viel, genug kann es vermutlich nie sein', Kieler Nachrichten, KN-online, 4 November 2021 (Titel der Printausgabe lautet: 'Mahnende Wort in der Synagoge - 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: Ministerpräsident eröffnet Festjahr mit 130 Veranstaltungen')
  2. Juden in Schleswig-Holstein. Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, http://www.geschichte-s-h.de/juden-in-schleswig-holstein/
  3. Hier und im Folgenden: Rainer Hering: Judenverfolgung als Thema der Landesgeschichte. In: Landeszentrale für Politische Bildung: Zum Gedenken - 6.12.2011 - 70. Jahrestag der Deportation der Juden aus Schleswig-Holstein. Hintergrund. Schriftenreihe der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein, Kiel 2011, S. 10–21
  4. Rainer Hering: Judenverfolgung als Thema der Landesgeschichte. In: Landeszentrale für Politische Bildung: Zum Gedenken - 6.12.2011 - 70. Jahrestag der Deportation der Juden aus Schleswig-Holstein. Hintergrund. Schriftenreihe der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein, Kiel 2011, S. 10–21
  5. Jüdische Bevölkerung in Deutschland am 17.5.1939. Statistik des Deutschen Reichs, Band 552,4, Berlin 1944. 'Die Juden und jüdische Mischlinge im Deutschen Reich und in den Reichsteilen nach der Abstammung und der Religionszugehörigkeit', Deutsches Reich, Übersicht 1a, S. 4/6.'
  6. Die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich 1933–1945, ibid.
  7. Goldberg, Bettina (2016): Juden in Schleswig-Holstein - Ein historischer Überblick. In: Hering, Rainer (Hrsg.): Die „Reichskristallnacht“ in Schleswig-Holstein. Der Novemberpogrom im historischen Kontext. Hamburg: Veröffentlichungen des Landesarchivs Schleswig-Holstein, Band 109, S. 45
  8. Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945. Das Bundesarchiv, Koblenz
  9. Goldberg, Bettina (2016), S. 29
  10. Goldberg, Bettina (2016), S. 29
  11. Jüdisches Leben Schleswig-Holstein nach 1945. das virtuelle Museum, vimuinfo, Forschungsstelle für regionale Zeitgeschichte und Public History, Schleswig
  12. Jüdische Bevölkerung in Deutschland am 29.10.1946. [Volks- und Berufszählung vom 29. Oktober 1946 in den vier Besatzungszonen und Groß-Berlin, Volkszählung Tabellenteil, Berlin-München 1949. Tabl. VI. Die Bevölkerung nach der Religionszugehörigkeit, (a) Deutschland, Besatzungszonen, Länder und Gebietskörperschaft Groß-Berlin, S. 100–101].
  13. zusammengetragen aus Dieter Pohl: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945. Darmstadt 2003, S. 73 und 96; Peter Longerich: Holocaust: The Nazi Persecution and Murder of the Jews. 2010, S. 196–198.
  14. Schartl, Matthias (2003): Eine Clique 'Alter Kämpfer' - Aufstieg und Fall regionaler NSDAP-Eliten in Stadt und Landkreis Schleswig. In: Demokratische Geschichte (DG), Band 15 (2003), S. 161–221, Malente: Beirat für Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holsteins e.V., S. 195
  15. Reichswerke Hermann Göring
  16. Internierungslager: Zeitzeugen - Heinz Behrens. MOOSBURG-Online, , accessed: 7 September 2022
  17. Schartl, Matthias (2003): 167
  18. Schartl, Matthias (2003): 173, 183–1985
  19. Schartl, Matthias (2003): 167
  20. Wigbert Benz: Paul Carell. Ribbentrops Pressechef Paul Karl Schmidt vor und nach 1945. wvb, Berlin 2005, ISBN 3-86573-068-X, S. 13.
  21. Vgl. Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Verden gegen Dr. Paul Karl Schmidt u. a. wegen Mordes. Akte 412 AR-Nr. 1082 / 1965; Bundesarchiv, Außenstelle Ludwigsburg, neue Signatur (seit November 2003): B 162 AR 650 1082; belegt bei Benz: Paul Carell. Berlin 2005, S. 88 ff
  22. Schartl, Matthias (2003): 222
  23. Schartl, Matthias (2003): 175
  24. Schartl, Matthias (2003): 170
  25. Schartl, Matthias (2003): Eine Clique 'Alter Kämpfer' - Aufstieg und Fall regionaler NSDAP-Eliten in Stadt und Landkreis Schleswig. In: Demokratische Geschichte (DG), Band 15 (2003), S. 162, 201. Malente: Beirat für Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holsteins e.V.
  26. Schartl, Matthias (2003): 170
  27. Schartl, Matthias (2003): 166
  28. Schartl, Matthias (2003): 207
  29. Schartl, Matthias (2003): 204
  30. Schartl, Matthias (2003): 189
  31. Schartl, Matthias (2003): 166
  32. Schleswiger Nachrichten (1934): Die alte Garde von Erfde: Mitglieder unter 100 000. Schleswiger Nachrichten, 20. Februar 1934, ohne Autor, free online access by rudiritter.de , accessed: 7 September 2022
  33. Schartl, Matthias (2003): 205
  34. Schartl, Matthias (2003): 219–220
  35. Schartl, Matthias (2003): Eine Clique 'Alter Kämpfer' - Aufstieg und Fall regionaler NSDAP-Eliten in Stadt und Landkreis Schleswig. In: Demokratische Geschichte (DG), Band 15 (2003), S. 162, Malente: Beirat für Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holsteins e.V.
  36. Ralf Stremmel (2021): Die Gauwirtschaftsberater der NSDAP - The Gau Economic Advisers (Gauwirtschaftsberater) of the NSDAP. Jahrb f. Wirtschaftsg. 2021; 62(1): 213–25 (online available , free download, accessed: 7 September 2022)
  37. Schartl, Matthias (2003): 181–182
  38. Vgl. hierzu: Gerhard Paul, Miriam Gillis-Carlebach: Menora und Hakenkreuz. Neumünster 1998.
  39. Bettina Goldberg: Abseits der Metropolen: die jüdische Minderheit in Schleswig-Holstein. Wachholtz, Neumünster 2011, ISBN 978-3-529-06111-0, S. 445.
  40. Vgl. hierzu: Irene Dittrich: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu den Stätten von Widerstand und Verfolgung. S. 115/116.
  41. Schartl, Matthias (2003): 178
  42. Schartl, Matthias (2003): 194
  43. Schartl, Matthias (2003): Eine Clique 'Alter Kämpfer' - Aufstieg und Fall regionaler NSDAP-Eliten in Stadt und Landkreis Schleswig. In: Demokratische Geschichte (DG), Band 15 (2003), S. 163, Malente: Beirat für Geschichte in der Gesellschaft für Politik und Bildung Schleswig-Holsteins e.V.
  44. Schartl, Matthias (2003): 193
  45. Schartl, Matthias (2003): 162, 178
  46. Schartl, Matthias (2003): 170
  47. Schartl, Matthias (2003): 169, 197
  48. Plöger: Von Ribbentrop zu Springer. Marburg 2009, S. 167.
  49. Benz: Paul Carell. Berlin 2005, S. 72–75; Plöger: Von Ribbentrop zu Springer. Marburg 2009, S. 322–326.
  50. Helga Schubert, Judasfrauen. München: Dtv Verlagsgesellschaft, TB, 2021,176 S., ISBN 978-3-423-14821-4
  51. Jan Ruckenbiel, Soziale Kontrolle im NS-Regime - Protest, Denunziation und Verfolgung Zur Praxis alltäglicher Unterdrückung im Wechselspiel von Bevölkerung und Gestapo, Dissertation Universität – Gesamthochschule Siegen 2001, Köln: 2003, S. 125–126
  52. Sigrid Weigel, »Judasfrauen«. Sexualbilder im Opfer-Täter-Diskurs über den Nationalsozialismus. Zu Helga Schuberts Fallgeschichten., Feministische Studien, Band 10, Heft 1, S. 121–131.
  53. Cynthia Apel, Helga Schubert's Judasfrauen: The Use of Narrative in Documentary Literature., Focus on Literatur, vol. 02, No. 02 (Fall 1995), pp. 139–147
  54. Nadine Schättler: Gedenkstein erinnert an Nazi-Opfer. In: Kieler Nachrichten, 10. November 2019.
  55. Elke Imberger: Widerstand „von unten“: Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933–1945. S. 87.
  56. Elke Imberger: Widerstand „von unten“: Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933–1945. S. 87.
  57. Julius H. Schoeps: Ein Stein aufs Grab. Die Zerstörung und Schändung jüdischer Friedhöfe in Deutschland. In: Die Zeit. Nr. 46/1984, 9. November 1984 (online).
  58. Andreas Wirsching: Jüdische Friedhöfe in Deutschland 1933–1957. 2002, S. 19.
  59. Zitiert nach: Andreas Wirsching: Jüdische Friedhöfe in Deutschland 1933–1957. 2002, S. 23.
  60. Bericht des unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus : Antisemitismus in Deutschland – Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze. Unterrichtung durch die Bundesregierung. Drucksache 17/7700. Deutscher Bundestag, 10. November 2011, S. 36 ff. (PDF).
  61. Hans-Uwe Otto, Roland Merten: Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland: Jugend im gesellschaftlichen Umbruch. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-97285-9, S. 82 (google.com).
  62. Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum (2020): Gemeinde Kiel (Schleswig-Holstein)
  63. Gängeviertel
  64. Bettina Goldberg: Kleiner Kuhberg 25 – Feuergang 2. - Die Verfolgung und Deportation der schleswig-holsteinischen Juden im Spiegel der Geschichte zweier Häuser. 2002
  65. Stolpersteine in Kiel



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