Silvia Ronchey (* 13. März 1958 in Rom) ist eine italienische Essayistin, Geisteswissenschaftlerin und Philologin. Ehemals assoziierte Professorin an der Universität von Siena hat sie nunmehr den Lehrstuhl für Byzantinistik am Fachbereich für Geisteswissenschaften der Universität Rom III inne.[1] Sie arbeitet für die Zeitung La Repubblica.
Als Tochter der Schriftstellerin Vittoria Aliberti und des Journalisten, Schriftstellers und Kulturministers Alberto Ronchey besuchte Silvia Ronchey in den 70er Jahren das Gymnasium Massimo d'Azeglio in Turin und anschließend das Gymnasium Ennio Quirino Visconti in Rom. Bereits während ihrer Schulzeit entwickelte sie ein Interesse an der byzantinischen Zivilisation: „... passavo il mio [tempo] nell’adiacente Biblioteca Casanatense, o mi spingevo fino all’Angelica. Ho continuato per tutti i tre anni del liceo, e quando mi sono accorta che la letteratura greca non finiva con quella che all’epoca si chiamava ellenistica, come poteva sembrare dai manuali scolastici, ma continuava per undici secoli, appunto a Bisanzio, ho cominciato a inoltrarmi con emozione in quella frontiera sconosciuta (Ich verbrachte meine [Zeit] in der angrenzenden Biblioteca Casanatense, oder ich ging bis zur Biblioteca Angelica. Das machte ich alle letzten drei Jahre des Gymnasiums weiter und, als ich erkannte, dass die griechische Literatur nicht mit dem endete, was man damals hellenistische Epoche nannte, wie es aus den Schulhandbüchern hervorgeht, sondern sich über elf Jahrhunderte fortsetzte, und zwar genau in Byzanz, begann ich mich mit starker Begeisterung in dieses unbekannte Grenzgebiet zu bewegen).“[2] 1976 entschied sich Silvia Ronchey für die Byzantinistik und im selben Jahr begann sie ihre paläographische Lehrzeit an den Handschriften des Johannesklosters in Patmos. 1981 schloss sie ihr Studium der antiken Literatur an der Universität Pisa mit einer von Franco Montanari betreuten Arbeit aus der byzantinischen Philologie ab. In den folgenden Jahren arbeitete sie neben Patmos auch an der Bibliothek des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Alexandria in Ägypten, am Centre d'Histoire et Civilisation du Monde Byzantin des Collège de France in Paris und wurde mit einem Stipendium Fellow am Dumbarton Oaks Institute for Byzantine Studies in Washington D.C., wo sie mit einem der größten Byzantinisten des zwanzigsten Jahrhunderts, Aleksandr Petrovič Každan, zu arbeiten begann. Zu Silvia Roncheys frühen wissenschaftlichen Arbeiten gehören Studien über die Chronographie des Michael Psellus, von der sie die erste italienische Übersetzung veröffentlichte, über Eustathios von Thessaloniki, über eine byzantinische Version des Lebens Buddhas (Barlaam und Ioasafat), über die antiken Akten der griechischen Märtyrer und ihre ersten Aufsätze über Hypatia und Bessarion. Mit Každan war sie Co-Autor von der Studie der byzantinischen Aristokratie (L'aristocrazia bizantina). Seit den späten 1990er Jahren verfasste sie Monographien über die Kultur von Byzanz, darunter Lo Stato Byzantino, und über die Rezeption von Byzanz in der Neuzeit und Gegenwart. Im letzten Jahrzehnt entstanden Studien über Konstantinopel, Mistras, den Niedergang und Fall von Byzanz, die byzantinischen kulturellen Wurzeln der europäischen Renaissance und das historische Erbe des Kaisertitels des Zweiten Roms nach der islamischen Expansion. Neben etwa hundert Fachaufsätzen[3] verfasste Silvia Ronchey weit verbreitete Bücher, die in mehrere Sprachen übersetzt wurden, wie z. B. L'enigma di Piero (Rizzoli), das mehrfach ausgezeichnet wurde, u. a. mit dem Premio Procida-Isola di Arturo-Elsa Morante 2006, Il guscio della tartaruga (Nottetempo), Il romanzo di Costantinopoli (Einaudi) und Ipazia. La vera storia (Rizzoli), verkaufsstarkes Buch, das mehrfach ausgezeichnet wurde: Premio Nazionale Letterario Pisa 2011, Premio Città delle Rose 2011, Premio Teocle 2011 und, von der Kritik einhellig begrüßt, La cattedrale sommersa (Rizzoli). Nach einer zwanzigjährigen Zusammenarbeit mit La Stampa und deren Beilage Tuttolibri schreibt Silvia Ronchey regelmäßig für La Repubblica. Zu ihren Radiosendungen gehören der Zyklus über den Fall von Konstantinopel in Alle 8 della sera (RadioRaiDue), die Serie über das antike, mittelalterliche und byzantinische Melodram in Di tanti palpiti (RadioRaiTre) und die Serien Contaminazioni del sacro, Il buddhismo e l'occidente und Queste anime viventi: animali, anima, mondo (RadioRaiTre). Zusammen mit dem Schriftsteller und Universitätsdozenten Giuseppe Scaraffia schrieb und führte Silvia Ronchey Kulturprogramme für die RAI durch und arbeitet dabei mit Raisat, Raiuno, Raidue und Raitre zusammen. Dazu gehört L'altra edicola, ein Kulturprogramm, das von 1994 bis 1999 auf Raidue und später auf Raisat 1 gesendet wurde. Zusammen mit Scaraffia führte sie auch noch eine Reihe Interviews mit hohen Persönlichkeiten der Kultur, wie Ernst Jünger, Claude Lévi-Strauss, James Hillman, David Lodge oder auch mit Jean-Pierre Vernant. Vor allem die Begegnung mit dem amerikanischen Psychoanalytiker, Essayisten und Philosophen James Hillman führte zu einer langjährigen Zusammenarbeit, die neben Fernsehinterviews in den beiden Büchern/Dialogen L'anima del mondo und Il piacere di pensare (Rizzoli) erfolgte und bis zu Hillmans Tod andauerte, dessen letztes Buch Silvia Ronchey derzeit für eine postume Veröffentlichung herausgibt.
Silvia Ronchey gehört zu den Wissenschaftlern, die sich in den letzten zwanzig Jahren mit am gründlichsten über die Figur der Hypatia, ihrem ethischen, philosophischen, religiösen und politischen Charakter und den Umständen ihrer Ermordung auseinandersetzte: „Wenn Sie etwas Glaubwürdiges über Hypatia wissen möchten, suchen Sie online [...] und, für etwas Gelehrteres, fragen Sie Google 'Silvia Ronchey Hypatia' und Sie werden (unzensiertes) Brot für Ihre Zähne finden.“ In den seit den 1990er Jahren veröffentlichten Forschungen[7] und insbesondere in der Monographie Ipazia. La vera storia (Rizzoli, 2010)[8], einem italienischen Bestseller und Preisträger[9], der von der Kritik einhellig gelobt wurde[10], rekonstruierte Silvia Ronchey das existenzielle und intellektuelle Schicksal der Hypatia, indem sie es in die historisch-kulturelle Realität der Spätantike und der frühen byzantinischen Zivilisation die Philosophin einordnete und sie vor den Hintergrund der turbulenten Veränderungen stellte, die der Niedergang des Heidentums und der Aufstieg des Christentums mit sich brachten. Anhand antiker historischer Quellen und philologischer Analysen entwickelte Silvia Ronchey eine inzwischen weitgehend akzeptierte, umfassende These zu Hypatia. Ihre Forschungen wiesen die materielle Schuld des Bischofs Kyrill von Alexandria nach, der nach Silvia Roncheys Auffassung Hypatias Ermordung nicht nur inspirierte, sondern direkt anstiftete. Darüber hinaus brachte diese Forschung die politischen und kirchlichen Gründe ans Licht, warum die christliche Kirche von Anfang an und seit Jahrhunderten hartnäckig das Bedürfnis hatte, ihre eigene Verantwortung in der Affäre zu verbergen. Darüber hinaus hebt Silvia Ronchey's Interpretation den Unterschied zwischen den Positionen der lokalen ägyptischen koptischen Kirche und der Kirche in Rom gegenüber der zentralen byzantinisch-orthodoxen Kirche und den Mitgliedern ihrer gebildeten Schicht hervor, die über Jahrhunderte hinweg Bewunderer der Hypatia und hartnäckige Verfechter von Kyrills Schuld waren. Nach Silvia Roncheys Rekonstruktion sollte Hypatia darüber hinaus ein offizieller priesterlicher Status und die Anerkennung als „Meisterin“ einer der wichtigsten esoterischen Schulen der Spätantike zuerkannt werden. Als solche war Hypatia ohne jeden Zweifel sowohl Heidin als auch Platonikerin. Ihre Lehren hatten einen doppelten Zweck, explizit sowohl in „esoterischen“ Lektionen, die für alle offen waren und in öffentlichen Räumen abgehalten wurden, als auch in privaten, geheimen esoterischen Lektionen, die in ihrem Haus abgehalten wurden und einer eingeweihten Elite vorbehalten waren, zu der auch der spätere christliche Bischof Synesius gehörte, dessen Schriften die Hauptquelle für Hypatias Lehren und mystische Weisheit sind.
Personendaten | |
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NAME | Ronchey, Silvia |
KURZBESCHREIBUNG | italienische Historikerin und Byzantinistin |
GEBURTSDATUM | 13. März 1958 |
GEBURTSORT | Rom |