Walter Boll (* 9. Februar 1900 in Darmstadt; † 24. November 1985 in Regensburg) war ein deutscher Kunsthistoriker und bis in die 1970er Jahre, Kulturdezernent und Museumsdirektor in Regensburg.
Walter Boll war der Sohn des Rechnungsrats Wilhelm Boll (1866–1929) und dessen Ehefrau Bertha Katharina, geb. Bany (1868–1946).[1] Er studierte Neuere Kunstgeschichte, Archäologie und Literaturgeschichte in Frankfurt am Main, Würzburg und München. 1922 legte Boll mit 21 Jahren in Würzburg seine für die damalige Zeit ansehnliche Promotionsschrift über Die Schönbornkapelle am Würzburger Dom vor und wurde mit summa cum laude vermutlich bei Fritz Knapp promoviert. Anschließend war er Assistent an den Staatlichen Kunstsammlungen in Stuttgart und München, sowie beim Landesamt für Denkmalpflege in Stuttgart.[2]
Im Jahre 1928 ging er mit seiner damaligen Ehefrau Anna (geb. Feile) nach Regensburg. Nach der Scheidung von der ersten und dem Tod der zweiten Ehefrau erfolgte 1955 eine Eheschließung mit Doris Hellmuth.[3][4] Aus dieser Ehe ging eine Tochter hervor.
1928 wurde Walter Boll vom damaligen Oberbürgermeister der Bayerischen Volkspartei Otto Hipp als städtischer Konservator der Kunstsammlungen nach Regensburg berufen. Zusätzlich wurde er 1931 beauftragt, die Leitung des städtischen Archivs zu übernehmen und ein Stadtmuseum zu gründen. Das 1931 gegründete Museum, heute Historisches Museum Regensburg, entstand am Dachauplatz und konnte dort die Gebäude des profanierten ehemaligen Minoritenklosters St. Salvator nutzen. Nachdem Oberbürgermeister Hipp 1933 von den Nationalsozialisten gewaltsam aus seinem Amt entfernt worden war, wurden die Planungen für das neue städtische Museum 1935 verändert. Das Museum sollte nach dem neuen Gau Bayerische Ostmark nun „Ostmarkmuseum“ heißen. Zur Eröffnung des Museums unter diesem Namen kam es aber zunächst noch nicht. Erst 1949 wurde das Museum als städtisches Museum eröffnet.[5]
Nach seiner Ankunft in Regensburg engagierte sich Boll auch im Kunst- und Gewerbeverein und wurde bald dessen Zweiter Vorsitzender (1932–1945). 1935 wurde Boll Mitglied der NSDAP und übernahm die Funktion eines Kreiskulturwarts der NSDAP. In der NS-Zeit bekleidete Boll das Referat für Museums-, Archiv- und Bibliothekswesen und wurde von Oberbürgermeister Otto Schottenheim und auch vom Zweiten Bürgermeister Hans Herrmann in jeder Hinsicht unterstützt. So gelang es Boll z. B. zwischen 1937 und 1940 den Totalabriss der Gebäude des Herzogshofs auf dem Domplatz zu verhindern. Der Herzogssaal blieb erhalten, jedoch wurde die Ostfassade des Ostflügels nach Vorstellungen von Boll durch Rückbau von Fenstern „bereinigt“ und zwei romanische Rundbogenfenster aus dem Fundus des Museums eingebaut. Dieses Vorgehen galt bei strengen Denkmalschützern als ein Paradebeispiel für Bolls „schöpferische Denkmalpflege“ und man unterstellte ihm, dass er Regensburg nach dem Vorbild von Nürnberg und Rothenburg zu einem touristischen Anziehungspunkt machen wollte.[2]
Auch drohenden Plänen zum Abriss des Heuporthauses versuchte Boll, der in der Stadt über jede Fassadenänderung wachte, zuvorzukommen. Er ließ die Fassade des Hauses mit einer die Fassade seither prägenden gotischen Maßwerkfensterreihe umgestalten. Dadurch sollte das Haus zu einem in Deutschland touristisch einmaligen Kaffeehaus aufgewertet und ein Abriss unmöglich gemacht werden.[6][7][8]
Als Mitglied der NSDAP wurde Boll Kreiskulturwart.[9] Im November 1933 wurde er zum „Führer“ des gleichgeschalteten Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg gewählt. 1941 übernahm NS-Oberbürgermeister Otto Schottenheim (1890–1980) die Vereinsführung. Unter seiner Leitung wurden unliebsame Mitglieder aus der Vorstandschaft entfernt (Hanns von Walther, Eugen Wiedamann); der Verein verkam zum bloßen Instrument nationalsozialistischer Kulturpolitik.
Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes wurde Boll von der Amerikanischen Militärregierung aus dem Dienst entfernt und im August 1948 nach Entnazifizierung als „Mitläufer“ wiedereingestellt.[9] Zum Ablauf der Entnazifizierung Bolls wurden 2019 neue Recherchen veröffentlicht.[10]
Ab September 1948 leitete Boll wieder das städtische Museum (heute: Historisches Museum Regensburg), das 1949 wieder eröffnet wurde. Als Kulturdezernent fungierte Boll wieder ab 1950. 1953 wurde ihm vom Stadtrat die 1949 geschaffene Albertus-Magnus-Medaille verliehen. 1955 erschien ein Buch von ihm über Regensburg im Deutschen Kunstverlag und wurde zum Bestseller.
Als Denkmalpfleger glaubte Boll, als Beauftragter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege unabhängig zu sein von der Stadtverwaltung und vom städtischen Baudezernat mit den dort ablaufenden Planungen. Dieser Glaube führte so häufig zu Auseinandersetzungen, dass man auf Seiten der Stadtverwaltung versuchte, Boll aus allen Planungsprozessen herauszuhalten. Das veranlasste Boll, sich bei seinem Studienfreund Heinrich Kreisel zu beschweren, der bis 1963 Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege war. Das Verhalten von Boll polarisierte aber auch innerhalb der Gruppe von Denkmalschützern, die ihm vorwarfen, die Altstadt von Regensburg als ein Museum aufbauen zu wollen. Obwohl Boll das bestritt, galt er als welt- und wirklichkeitsfremd und man unterstellte ihm, dass er in Regensburg ein Walt-Disney-Land schaffen wolle, eine Art „Walt-Bolly-Land“. Boll selbst wies solche Vorwürfe meist auswärtiger Verkehrsplaner, stets zurück und äußerte sich abwertend über deren Theorien. Er bevorzugte eine lokal ausgerichtete Verkehrsplanung mit Parkplätzen rund um eine den Fußgängern vorbehaltene Altstadt und fügte hinzu, dass in der Altstadt alles getrost verschwinden könne, was historisch wertlos und abbruchwürdig sei,[Anm. 1] denn die wenigsten Gebäude in der Altstadt stünden unter Denkmalschutz.[11]
Am Beginn der 1970er Jahre änderten sich die Verhältnisse nach dem Dienstantantritt des neuen Kulturdezernenten Wolf Peter Schnetz, der Boll in diesem Amt ablöste. Als Heimatpfleger war Boll nicht bereit, seine Obliegenheiten und Möglichkeiten als Denkmalpfleger aus der Hand zu geben und Schnetz als neuer Kulturdezernent war der Auffassung, dass das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege nicht weisungsbefugt gegenüber der Stadtverwaltung war. Deshalb gelang es Boll, noch über Jahre hinweg, Einfluss zu nehmen bei Denkmalangelegenheiten der Stadt und Mitsprache zu sichern, obwohl er über beabsichtigte Maßnahmen von der Stadtverwaltung nicht kontinuierlich informiert wurde, was seinen Argwohn erregte, ihm aber auch Verdächtigungen gegenüber der Stadtverwaltung ermöglichte.
Mitte der 1970er Jahre verschärfte sich die Lage und die Stimmung. Nachdem Boll Vertreter des Stadtbauamtes als Verbrecher bezeichnet hatte, kam in der Stadtverwaltung der Wunsch auf, Boll loszuwerden. Man begann, schriftliche Vorwürfe gegen ihn zusammenzustellen. Die Vorwürfe betrafen seine Versäumnisse als Direktor des städtischen Museums (schlechte Erwerbspolitik) und als Gründer und weisungsgebundener Vertreter der Stadt bei der 1957 gegründeten Ostdeutschen Galerie (verschwundene Gründungsakten).
Hinzu kamen 1978 die sich schnell bundesweitverbreitenden Auseinandersetzungen um die von Boll initiierte und von Johann Vielberth finanzierte Anfertigung und Aufstellung einer Kopie der Statue des Don Juan de Austria auf dem Zieroldsplatz östlich vom Rathaus. Das Denkmal wurde von den Gegnern Bolls als „Abklatsch“ eines Originals bezeichnet, mit dessen Aufstellung Boll in erster Linie populistische Ziele verfolge. Mit dem Denkmal für einen berühmten, in Regensburg von einem Kaiser gezeugten, Sohn der Stadt Regensburg, dem es im Laufe seines Lebens als Befehlshaber der spanischen Armada gelungen war, nicht-christliche Türken zu besiegen, wolle Boll bei Touristen nur Aufmerksamkeit für dessen Geburtsstadt gewinnen. Ein anonymer Briefschreiber aus dem Bauamt der Stadt machte daraufhin Oberbürgermeister Viehbacher darauf aufmerksam, dass es höchste Zeit sei, Boll aus dem Verkehr zu ziehen, ohne dass aber seine guten Taten für Regensburg vergessen würden.[2]
Trotz dieser Auseinandersetzungen bleibt unbestritten, dass Boll durchaus zu Kompromissen bereit war. So trat er vehement ein für den Erhalt des Hauses zum Sauseneck, (Lufthaus) und für den Erhalt der typischen Vorbauten der Häuser in der Keplerstraße, die dort den Ausbau der Keplerstraße für den fließenden Verkehr behinderten. Auch stritt er heftig um den Erhalt des Altstadtkerns zwischen Rathaus und Weißgerbergraben, hatte aber auch keine Einwände gegen Abrisse in gewissen Bereichen der Altstadt, zu Gunsten großzügiger Neubauten. Auch war Boll ein Freund von beidseitigen Fußgängerarkaden, die gar kein Vorbild im üblichen historischen Straßenbild von Regensburg hatten.
1949 wurde das Städtische Museum Regensburg eröffnet. Boll wurde zum Museumsdirektor berufen, unter der Zuständigkeit des damaligen zweiten Bürgermeisters Hans Herrmann, der 1952 zum Oberbürgermeister gewählt worden war.[12] Boll blieb Leiter des Stadtarchivs und Kulturdezernent, bis er 1968 als Beamter in den Ruhestand trat und als Kulturdezernent durch Wolf Peter Schnetz abgelöst wurde. Sein Nachfolger als Museumsleiter wurde Wolfgang Pfeiffer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg trat Boll für den Erhalt aller vorhandenen und entdeckten Reste der ehemaligen Mauer des römischen Legionslagers Castra Regina ebenso ein wie auch für Erhalt und Sanierung der mittelalterlichen Bausubstanz in der Regensburger Altstadt. Er versuchte, die damals im Rahmen der beabsichtigten Entkernung und Sanierung der Altstadt von der Stadtverwaltung geplanten Abbrüche zahlreicher historischer Gebäude einzuschränken.
Auch wenn das in einigen Fällen nicht gelang, so konnte die Altstadt 2006 doch Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes werden.[13][14]
1982 führte die Wochenzeitung Die Zeit ein Gespräch mit Walter Boll, in dem man ihn so beschrieb: „Er ließ sich durch nichts aufhalten, auch nicht durch die Nazis, deren Uniform er anzog, um „unsere Dinge irgendwie weiterzumachen“. Danach glitt er glatt in die neue Zeit hinüber, machte einfach weiter, wo er aufgehört hatte, und wurde später Kulturdezernent.“[23]
Die Stadtratsfraktion der Regensburger ÖDP beantragte in den Jahren 2008 und 2010, eine Straße nach Boll zu benennen. Dieser Antrag stieß wegen der NSDAP-Mitgliedschaft Bolls auf Kritik, ein Beschluss wurde vertagt.[29] Stand 2022 sind keine Straße und kein Platz in Regensburg nach Walter Boll benannt.
Der Regensburger Stadtheimatpfleger Werner Chrobak organisierte Ende Januar 2019 eine Veranstaltung, in der die Regensburger Autorin Waltraud Bierwirth in einem öffentlichen Vortrag ihre Forschungsergebnisse zu Bolls aktiver Mitwirkung bei „Arisierungen“ jüdischen Eigentums vorstellte. Die Pressestelle der Stadt Regensburg gab daraufhin Anfang März 2019 bekannt, dass das Amt für Archiv und Denkmalpflege „eine umfassende kulturelle und geschichtliche Prüfung“ vornehmen werde.[30]
Personendaten | |
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NAME | Boll, Walter |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Kunsthistoriker |
GEBURTSDATUM | 9. Februar 1900 |
GEBURTSORT | Darmstadt |
STERBEDATUM | 24. November 1985 |
STERBEORT | Regensburg |