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Hugo Boeschenstein (auch Böschenstein) (* 5. Juli 1900 in Stein am Rhein; † 20. März 1983 in Konstanz) war ein schweizerisch-deutscher Grafiker und Buchschmuck-Künstler. In der Zeit des Nationalsozialismus erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft und war ein aktives Mitglied der NSDAP.


Leben und Werk


Hugo Boeschenstein kam am 5. Juli 1900 als Sohn des Konditors Arthur Boeschenstein und dessen Frau Emilie, geb. Schulch, in Stein am Rhein zur Welt. Nach der Matura studierte er Grafik an der Kunstschule Basel und von 1921 bis 1923 an der Kunstakademie Karlsruhe; dort war er Meisterschüler bei Ernst Würtenberger.[1]

1924 erfolgte die Übersiedlung nach Wangen an den Untersee, wo Boeschenstein, von Stein am Rhein kommend, ab 1. Januar 1925 offiziell gemeldet war und sich als freischaffender Grafiker niederließ. Verheiratet war er seit 1923 mit Mathilde Hauß aus Darmstadt, mit der er 1925 eine Tochter bekam. Das ursprünglich evangelische Paar trat nach 1933 aus der Kirche aus und galt fortan als gottgläubig. Boeschenstein zählte zur zweiten Generation der Höri-Künstler und zur Künstlervereinigung Der Kreis.[2]

Mit dem im benachbarten Gaienhofen lebenden Schriftsteller und Arzt Ludwig Finckh verband ihn seit 1925 eine enge Freundschaft. Finckh unterstützte Boeschensteins Bemühungen, sich als Grafiker zu etablieren. So schrieb er die „Begleitworte“ zu mehreren seiner Holzschnittmappen mit Motiven der Hegau- und Bodenseelandschaft, die als signierte Handdrucke im Selbstverlag des Künstlers zwischen 1925 und 1935 in jeweils kleiner Auflage erschienen und die von Finckh vertrieben wurden.[3] Mit diesen kleinformatigen Holzschnitt-Veduten machte sich Boeschenstein als Grafiker in der Bodenseeregion langsam einen Namen und setzte dabei auf den erst am Anfang stehenden „Fremdenverkehr“ als Absatzmarkt. Für den im Jahr 1927 erschienenen, vom Verkehrsverein Höri, Sitz Gaienhofen, herausgegebenen „Fremdenverkehrsführer“ besorgte Boeschenstein die Einbandgestaltung und mehrere Text-Holzschnitte.[4] Auch zu Finckhs Erzählung Bricklebritt steuerte Boeschenstein die Textillustrationen bei und gestaltete den Bucheinband.[5] Da der Absatz der Original-Grafiken trotz Finckhs intensiver Förderung unter den Erwartungen blieb und Boeschenstein von seiner künstlerischen Arbeit allein nicht leben konnte, betätigte er sich in Wangen auch als Fotograf, der sich im Verkauf von Passbildern eine Nebenerwerbsquelle schuf.


Zeit des Nationalsozialismus


Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933, die er begrüßte und deren antisemitische Ideologie er teilte, wurde Boeschenstein, der 1936 die deutsche Staatsbürgerschaft erwarb, Mitglied der NSDAP.[6] Finckhs Angaben zufolge habe ihn die Schweiz „geächtet, weil er Deutscher wurde und vom ersten Tag an auf deutscher Seite kämpfte auf vielen Fronten“. Als Unteroffizier der Wehrmacht sei, so jedenfalls Finckh, Boeschenstein „wohl der einzige Schweizer“ gewesen, der im Zweiten Weltkrieg „als deutscher Soldat gegen Frankreich, England und Russland kämpfte.“[7] Über Art und Dauer von Boeschensteins Dienst in der Wehrmacht gibt es jedoch bislang keine gesicherten Kenntnisse.

Nach Angaben von Hannelore König, der Tochter des jüdischen Arztes Dr. Nathan Wolf, Wangen, sei Boeschenstein, der seine Grafiken – darunter ein Holzschnitt der Synagoge Wangen[8] – vor 1933 vor allem an Juden verkauft und für den befreundeten jüdischen Schriftsteller Erich Bloch 1925 auch einen Bucheinband gestaltet hatte,[9] „voll umgeschwenkt“ und ein „wirklicher (Ober)Nazi“ geworden. Als Hitlerjugendführer in Wangen sei er zudem ein Funktionsträger der Partei gewesen und neben NS-Bürgermeister Josef Denz und NSDAP-Ortsgruppenleiter Richard Schweizer einer der „schlimmsten“ NS-Repräsentanten und Judengegner im Ort.[10]

Die 1938 zerstörte Synagoge von Wangen (Mitte), zeitgenössische Ansichtskarte (Bildausschnitt), um 1930
Die 1938 zerstörte Synagoge von Wangen (Mitte), zeitgenössische Ansichtskarte (Bildausschnitt), um 1930

Erich Bloch, der von 1922 bis 1929 in Wangen und von 1933 bis zu seiner Emigration 1939 nach Palästina in Gaienhofen-Horn lebte, musste selbst erfahren, wie sich sein vormaliger „guter Freund“ nach 1933 zu einem „bösartigen Nazi entwickelt(e)“: „Er soll dann auch, als wir schon fort waren, den Juden nichts Gutes getan haben. Die zwölf oder fünfzehn Juden, die noch in Wangen lebten, sind ja im Jahre 1940 alle deportiert worden, und er (Boeschenstein) soll dafür gesorgt haben, dass sie auch alle mitkamen.“[11]

Laut Andrea Hofmann erlernte Boeschenstein „fast vierzigjährig zusätzlich einen ‚Brotberuf‘“ und verließ daraufhin Wangen. 1939 soll er als „Vermessungstechniker“ eine Anstellung bei der Stadt Überlingen gefunden haben.[12] Während ihn das Einwohnerverzeichnis von Wangen noch 1938 als „Graphiker“ führte,[13] war er mit seiner Familie bereits ab Mitte 1937 offiziell in Überlingen gemeldet; in den Überlinger Meldeunterlagen wird sein Beruf allerdings mit „Finanzangestellter“ angegeben.


Ab 1945


Bloch zufolge sei er erst (wieder?) 1945 nach Überlingen gezogen, nachdem ihn die Schweiz mit einem Einreiseverbot belegt hatte und ihm zuvor die Schweizer Staatsbürgerschaft entzogen worden war. Der Zuzug nach Wangen sei ihm überdies auf Lebenszeit verboten worden.[14] Als ehemaliges Parteimitglied hatte er sich vor der Französischen Militärregierung einem Entnazifizierungsverfahren zu stellen, über dessen Ausgang bislang nichts bekannt ist. In Überlingen arbeitete er bis zu seiner Pensionierung 1965 als Finanzangestellter und gründete die „Kleine Galerie“. 1976 zog Boeschenstein nach Konstanz, wo er 1983 im Alter von 82 Jahren starb. Sein Grab befindet sich auf dem dortigen Hauptfriedhof.


Publikationen



Schriften, Grafiken (Auswahl)



Illustrierte Bücher, Buchschmuck (Auswahl)



Literatur



Einzelnachweise


  1. Die Angaben zu Leben und Werk im Folgenden überwiegend aus: Andrea Hofmann: Hugo Boeschenstein. In: Künstler auf der Höri. Zuflucht am Bodensee in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Friedrich Bahn Verlag, Konstanz 1989, ISBN 3-7621-8003-2, S. 20 f., 156.
  2. Vgl. Edeltraud Fürst: Die Künstlervereinigung „Der Kreis“. Maler und Bildhauer am Bodensee 1925–1938 (= Kunst am See, Bd. 24). Robert Gessler, Friedrichshafen 1992; vgl. ferner der Ausstellungskatalog: Der Kreis. Maler und Bildhauer am Bodensee. Ausstellung, Altes Rathaus Lindau, Juli–September 1932. J. N. Teutsch, Bregenz 1932; darin abgebildet: Hugo Boeschenstein: Holzschnitte aus der Mappe Gaienhofen am Bodensee (1931): Am Strand, Gaienhofen, Landungssteg, Hermann Hesse-Haus, Ludwig Finckh-Haus.
  3. Vgl. Ludwig Finckh: Himmel und Erde. Acht Jahrzehnte meines Lebens und neue Gedichte. Silberburg-Verlag, Werner Jäckh, Stuttgart 1961, zu Boeschenstein hier S. 125.
  4. Verkehrsverein Höri (Hrsg.) / Zimmermann Joseph (Text): Führer durch die Halbinsel Höri am Bodensee (Deutschland). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart (1927).
  5. Ludwig Finckh: Bricklebritt. Deutsche Verlags-Anstalt Stuttgart, Berlin/Leipzig 1926; „Einbandzeichnung und Holzschnitte von Hugo Boeschenstein“.
  6. Vgl. Städtische Wessenberg-Galerie Konstanz (Hrsg.): See-Blick. Deutsche Künstler am Bodensee im 20. Jahrhundert. Stadler, Konstanz 1998, S. 141.
  7. Ludwig Finckh: Kleine Stadt am Bodensee. Konkordia, Bühl-Baden 1943 (2. Auflage), S. 52.
  8. Die vor oder im Jahr 1930 entstandene, Synagoge betitelte Grafik zeigt den westlichen Eingangsbereich des Gebäudes im Winter, vor dem Tor einen älteren Mann im Profil (typisierter „Landjude“(?), vmtl. das Porträt eines Wangener Juden), nach dem Synagogenbesuch; vgl.: Wangen am Bodensee. 10 Holzschnitte von Hugo Boeschenstein mit Geleitwort von Karl Blanck. Selbstverlag, Wangen 1930; abgebildet in: Franz Hofmann: Die Synagogen in Gailingen, Randegg, Wangen, Worblingen und Konstanz. In: Hegau. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Bd. 64. Hegau Geschichtsverein, Singen 2007, S. 47–72, hier S. 67.
  9. Vgl. den Hinweis und die Abbildung in: Manfred Bosch: Bohème am Bodensee. Literarisches Leben am See von 1900 bis 1959. Libelle, Lengwil 1997, ISBN 3-909081-75-4, S. 66.
  10. Vgl. Manfred Bosch: „Hitler war weg und wir waren da“ – Manfred Bosch im Gespräch mit Hannelore König. In: Hegau. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee. Bd. 64, Singen 2007, S. 239–310; zu Boeschenstein hier S. 274; vgl. die leicht abweichende Variante der Interviewtranskription: „Und der Boeschenstein ist 1933, ich würde schon sagen: voll umgeschwenkt und wurde ein wirklicher Obernazi. (...) Der Boeschenstein war der Oberboss der Hitlerjugend, der lief mit der HJ hier in kurzen Hosen vorbei, auch unter Absingen hässlicher Lieder, und hat uns keines Blickes mehr gewürdigt. Er wurde dann Deutscher und ging, glaube ich, auch in den Krieg.“ In: Anne Overlack: In der Heimat eine Fremde. Das Leben einer deutschen jüdischen Familie im 20. Jahrhundert. Erinnerungen und Dokumente. Klöpfer & Meyer, Tübingen 2016, ISBN 978-3-86351-419-8; der Abschnitt über Boeschenstein hier S. 72.
  11. Vgl. Erich Bloch: Das verlorene Paradies. Ein Leben am Bodensee 1897–1939. Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Neue Folge der Konstanzer Stadtrechtsquellen. Band XXXIII. Hrsg. vom Stadtarchiv Konstanz. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1992, ISBN 3-7995-6833-6, hier S. 106.
  12. Andrea Hofmann: Hugo Boeschenstein. In: Künstler auf der Höri. Zuflucht am Bodensee in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Friedrich Bahn Verlag, Konstanz 1989, S. 21.
  13. Friedrich Stadler (Hrsg.): Adreßbuch der Stadt Radolfzell am Bodensee und Umgebung 1938. Friedrich Stadler Verlag, Konstanz 1938
  14. Erich Bloch: Das verlorene Paradies. Ein Leben am Bodensee 1897–1939. Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen. Neue Folge der Konstanzer Stadtrechtsquellen. Band XXXIII. Hrsg. vom Stadtarchiv Konstanz. Jan Thorbecke Verlag, Sigmaringen 1992, S. 106.
Personendaten
NAME Boeschenstein, Hugo
KURZBESCHREIBUNG schweizerisch-deutscher Grafiker
GEBURTSDATUM 5. Juli 1900
GEBURTSORT Stein am Rhein
STERBEDATUM 20. März 1983
STERBEORT Konstanz



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