Niclas Gerhaert van Leyden, auch Nicolaus, Niclaes oder Niklas Gerhaert van oder von Leyden (* um 1430 in Leiden; †28. Juni 1473 in Wiener Neustadt) war ein niederländischer Bildhauer und Architekt, der vor allem im südlichen Mitteleuropa gewirkt hat.
Leben und Werk
Die Ausbildungsorte und die Stationen seiner frühen Tätigkeit sind nicht bekannt. Sein Werk zeigt deutliche Anklänge an die Kunst in Brüssel und den Niederlanden um 1450.
Sein frühestes erhaltenes Werk ist das Grabmal für den Trierer Erzbischof Jakob von Sierck, das aus der Trierer Liebfrauenkirche stammt (heute Museum am Dom). handelte sich ursprünglich um die damals in Deutschland neuartige Form des Doppeldecker-Grabes (Erwin Pannofsky) mit einer Figur des Verstorbenen als Transi (Leichnam) in der unteren Ebene, von der hier nur noch die obere Platte mit der Figur des Erzbischofs in Amtstracht erhalten geblieben ist. Die erhaltene Grabplatte ist signiert und mit 1462 datiert. Es ist aber unklar, wann das Grabmal begonnen und wo es gefertigt wurde. Der Stein stammt aus der Nähe von Trier, und so wird angenommen, dass Niclas Gerhaert hier ab der Mitte der 1450er Jahre gearbeitet hat.[1]
Um 1460/62 eröffnete Gerhaert dann eine Werkstatt in Straßburg, von wo aus er den Westen und Süden des Alten Reiches belieferte, u.a. mit der von Kardinal Nikolaus von Kues gestifteten, auf 1462 datierten Steinkanzel für die Wendalinuskirche zu St. Wendel.[2][3] Sein Ruhm war so groß, dass Kaiser Friedrich III. ihn mehrmals aufforderte, für ihn in Österreich zu arbeiten. 1467 siedelte Niklas Gerhaert vermutlich nach Wiener Neustadt über, wo er 1473 verstarb.
Friedrich III. war ab 1440 römisch-deutscher König und ab 1452 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und baute ab 1440 Wiener Neustadt als seine Residenz aus und holte dafür Künstler wie Niclas Gerhaert van Leyden, Peter von Pusica und Jakob Kaschauer.[4][5][6][7]
Als besonderes Beispiel für sein künstlerisches Wirken gilt das 1467 entstandene steinerne Kruzifix, das sich seit 1967 in der Stiftskirche von Baden-Baden befindet.[8] Bis dahin war es in den ehemaligen Friedhof der Stadt Baden-Baden integriert. Es steht exemplarisch für die neuen Stilformen, die Niclas Gerhaert van Leyden in die oberrheinische Bildhauerkunst einbrachte.
Ein früher Hauptauftrag in Straßburg war das 1463 fertiggestellte Portal der Alten Kanzlei, das im 18. Jahrhundert bis auf wenige Reste zerstört wurde. Aus diesem Zusammenhang sind eine Halbfigur eines Mannes (sogenanntes Selbstporträt) und zwei Büsten (sogenannter Jakob von Lichtenberg und Bärbel von Ottenheim) erhalten. Die Halbfigur eines Mannes wird als Selbstporträt des Künstlers im Gestus eines Melancholikers gedeutet und weist damit auf ein neues Selbstbewusstsein des Künstlers und auf die intellektuelle Grundlage der Kunst an der Schwelle zur Renaissance hin.[9]
Als einziges im ursprünglichen Zusammenhang erhaltenes Werk in Straßburg ist das Epitaph des Prälaten Bussnang im Straßburger Münster zu nennen. Es handelt sich bei den genannten Werken allesamt um Steinfiguren, Gerhaert arbeitete aber zugleich in Holz. Gerhaerts Stil prägte die Bildhauerei am Oberrhein für Jahrzehnte.
Das Hauptwerk Gerhaerts als Holzbildhauer, der 1467 fertiggestellte Hochaltar des Konstanzer Münsters, ging im 16. Jahrhundert im protestantischen Bildersturm unter.
Erhalten sind aber die Figuren eines Altares in der St. Georgskirche in Nördlingen. Hierbei handelt es sich um eine aus Nussbaumholz geschnitzte Kreuzigungsgruppe im gotischen Stil. Die fünf Hochaltarfiguren stammen aus dem Jahr 1462.[10]
Am kaiserlichen Hof schuf er einerseits die Grabplatte für die 1467 verstorbene Kaiserin Eleonore Helena von Portugal (heute im Neukloster in Wiener Neustadt) vor allem aber die Grabplatte für das Hochgrab Kaiser Friedrichs (heute im Stephansdom). An dieser letztgenannten Grabplatte arbeitete er von 1467 an bis zu seinem Tod; das restliche Grabmal wurde von seinen Plänen von seinen Nachfolgern vollendet. Es gilt als eines der wichtigsten plastischen Kunstwerke des späten Mittelalters und als bedeutendstes gotisches Kaisergrabmal nördlich der Alpen. Als besondere Meisterleistung gilt der souveräne Umgang mit einem besonders schwierig zu handhabenden Material: dem gefleckten Adneter Marmor. Die letzten Detailarbeiten an den Figuren dauerten bis 1513.
Mit seiner außerordentlich verräumlichenden und realistischen Skulpturauffassung wurde Niklas Gerhaert seit etwa 1470 im süddeutsch-österreichischen Raum über mehrere Generationen stilprägend. Berühmte Meister wie Michel Erhart und Veit Stoß führten seinen Stil weiter, und auch die Kunst Tilman Riemenschneiders ist ohne seine Neuerungen nicht denkbar.
Dangolsheimer Muttergottes (zugeschrieben), Straßburg um 1460/63 (Bode-Museum, Berlin)
Männerfigur (Selbstbildnis?) vom ehem. Portal der Alten Kanzlei in Straßburg
Sibylle (sog. Bärbel von Ottenheim), Straßburg um 1460/63 (Liebieghaus, Frankfurt), ehem. Portal der Alten Kanzlei
Sibylle (sog. Bärbel von Ottenheim), Gipsabguss der 1870 teilzerstörten Figur
sog. Prophet mit Turban, angeblich Jakob von Lichtenberg (Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Strasbourg), ehem. Portal der Alten Kanzlei
sog. Prophet mit Turban, Gipsabguss der 1870 teilzerstörten Figur
(Werkstatt ) Büste eines gesichtsgelähmten Mannes (Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Strasbourg)
(zugeschrieben) Männerkopf (Musée de l’Œuvre Notre-Dame, Strasbourg)
Grabmal des Konrad von Bussnang
Madonna, um 1470
Grab der Eleonore von Portugal
Grabmal Kaiser Friedrichs III. ab 1467 (Seitenansicht)
Einzelnachweise
So: Michael Grandmontagne: Niclaus Gehaert und die burgundischen Niederlande. Überlegungen zu seiner künstlerischen Herkunft, in: Stefan Roller (Hg.), Niclaus Gerhaert, der Bildhauer des späten Mittelalters. Petersberg 2011, S. 61–70.
Gottfried Kentenich: Werke eines der größten Meister des späten Mittelalters. Nikolaus Gerhaert, Schöpfer der prachtvollen Kreuzgang-Madonna im Trierer Dom und der von Kardinal Cusa gestifteten Kanzel der Pfarrkirche zu St. Wendel. In: Trierer Zeitschrift 7 (1932), S. 153–157.
Hans Klaus Schmitt: Kunstwerke im Wendelsdom. In: Heimatbuch des Kreises St. Wendel 1 (1948), S. 100–102, S. 101.
Lothar Schultes: Das Grabmal des Kaisers – Eine Odyssee, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vergleichende Kunstforschung in Wien, 71. Jg., Nr. 1/2, Februar 2019, S. 1–16.
Hanns Hubach: Nicolaus Gerhaert von Leyden. The Strasbourg Self-Portrait of 1464. New Contexts. In: Catharine Ingersoll, Alisa McCusker, Jessica Weiss (Hrsg.): Imagery and Ingenuity in Early Modern Europe Essays in Honor of Jeffrey Chipps Smith. Turnhout 2018, S. 75–92.
Renate Kohn (Hg.): Der Kaiser und sein Grabmal. Interdisziplinäre Forschungen zum Hochgrab Kaiser Friedrichs III. im Wiener Stephansdom. Wien 2017. ISBN 978-3-205-20640-8.
Niclaus Gerhaert. Der Bildhauer des Spätmittelalters. Ausstellungskatalog Liebieghaus Frankfurt a. M. / Musée de l'Œuvre Notre Dame Straßburg. Michael Imhof, Petersberg 2011, ISBN 978-3-943215-00-7.
Susanne Schreiber: Niclaus von Leidens Kruzifix in Baden-Baden. Bewegungsabläufe in Stein. In: Badische Heimat, Jg. 88 (2008), Heft 4, S. 509–519 (Digitalisat).
Heike Ebli:Niclaus von Leyden. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 18, Bautz, Herzberg 2001, ISBN 3-88309-086-7, Sp. 1057–1071.(Artikel/Artikelanfang im Internet-Archive)
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