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Oliver Grau (* 24. Oktober 1965) ist ein deutscher Kunsthistoriker und Medientheoretiker mit Schwerpunkt im Bereich Bildwissenschaft/Visuelle Kommunikation, in der Moderne und Medienkunst sowie in der Kultur des 19. Jahrhunderts und der italienischen Kunst der Renaissance. Er ist Gründungsdirektor des Archive for Digital Art und Leiter der Society for MediaArtHistories.

Oliver Grau (2011)
Oliver Grau (2011)

Leben


Oliver Grau ist Sohn des Physikers Lothar Grau und der Graphikerin Doris Grau. Nach Studium der Kunstgeschichte, Wirtschaftswissenschaften und Romanistik in Hamburg, Siena und London, Magister u. a. bei Martin Warnke und Promotion in Berlin bei Horst Bredekamp und Friedrich Kittler lehrte und forschte Grau am Kunsthistorischen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin, verbrachte Gastaufenthalte an Forschungseinrichtungen in Japan und USA und war nach der Habilitation 2004 an der Kunstuniversität Linz als Vertretungsprofessor an Universitäten tätig. Von 2005 bis 2022 war er Inhaber des ersten Lehrstuhls für Bildwissenschaften im deutschen Sprachraum am Department für Bildwissenschaften der Donau-Universität Krems. Rufe an die Universität Bamberg (2002), Siegen (2005) und die City University Hong Kong (2010) wurden nach Bleibeverhandlungen ausgeschlagen.


Forschung


Seine bildwissenschaftlichen Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf die Geschichte von Medienkunst, Immersion und Emotionen sowie auf die Geschichte, Idee und Kultur „belebter“ und telematischer Bilder, bzw. Telepräsenz, sowie auf die Entwicklung der Digital Humanities durch bildwissenschaftliche Arbeitsinstrumente, wie Online-Bild- und -Videodatenbanken.


Immersion


Die Monographie Virtual Art: From Illusion to Immersion enthält eine historisch vergleichende Bild-Betrachtertheorie der Immersion sowie eine systematische Analyse der Trias von Künstler, Werk und Betrachter unter den Bedingungen Digitaler Kunst. Sie wurde bislang über 2400 mal zitiert (Google Scholar) und gehört damit international zu den meistzitierten kunsthistorischen Monographien seit der Jahrhundertwende. Grau entwickelt ein Erklärungsmodell für die Evolutionsgeschichte der Illusionsmedien: Diese resultiere aus der relativen Abhängigkeit neuer sensueller Suggestionspotentiale und den diesen gegenüberstehenden Distanzierungskräften, der Medienkompetenz ihrer Betrachter.[1] Zugleich untersuchte Grau interdisziplinär Methoden, den Immersionseindruck der Betrachter in digitalen Bildräumen hervorzurufen, bzw. zu steigern: Dieses geschehe insbesondere durch die Interaktion (Reaktion der Bilder in Echtzeit auf die Benutzerbewegung),[2] die Verwendung evolutionärer Bildprozesse – etwa durch genetische Algorithmen,[3] haptisches Feedback, die natürliche Gestaltung des Interface,[4] den Eindruck telematischer Präsenz[5] und insbesondere durch die umfassende Gestaltung des Bilddisplays, das zumindest das Gesichtsfeld der Betrachter ausfülle und bis zu 360° horizontal und vertikal gesteigert werde.[6] Hergebrachte monomediale Ansätze der Illusionsforschung wurden mit diesen Studien zu überwinden versucht und stattdessen Begriffe wie Polysensualität, Suggestionspotential, Bildraum, individuelle Disposition der Betrachter, Evolution der visuellen Medien eingeführt und bestehende Distanztheorien von Cassirer, Panofsky u. a. für digitale Bildräume erweitert. Ferner wurden Untersuchungen zur innovativen Verbindung von Architektur und immersiven Bewegtbildern vorgelegt,[7] sowie zur Immersion in der Geschichte des Films.[8] Die Mehrzahl der Publikationen zur Immersion gehen auf zwei mehrjährige Forschungsprojekte der Deutschen Forschungsgemeinschaft zurück (Kunstgeschichte und Medientheorien der Virtuellen Realität 1998–2002 sowie Immersive Kunst 2002–2005).


Emotionsforschung


Aus mehreren Forschungsprojekten an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina und zwei durch die Volkswagenstiftung geförderten Sommerakademien ging eine interdisziplinäre Studie zur Geschichte der Lenkung von Gefühlen durch Bild und Sound hervor.[9] Die Forschungen von Antonio Damasio, Joseph LeDoux und Wolf Singer erweiternd, wurde am Beispiel von Matthias Grünwalds Isenheimer Altar, Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ und dem Computer Game „America's Army“ die gemeinschaftsformende Wirkung emotionaler Bilderlebnisse nachgewiesen und damit ein problematischer Schlüsselbegriff der Bildwissenschaften erforscht.


Medienkunstgeschichte


Seit 2002 brachte Grau die interdisziplinäre Medienkunstforschung und ihre Geschichte(n) als Leiter des Steering Committees in einer internationalen Konferenzserie zusammen,[10] was 2005 zum ersten Kongress zur Medienkunstgeschichte in Banff (Kanada) mit 500 Teilnehmern führte. Durch die Weltkonferenzen in Berlin (2007), Melbourne (2009), Liverpool (2011), Riga (2013), Montreal (2015), 2017 Krems/Wien (2017), Aalborg (2019) wurde das internationale Feld etabliert, das sich insbesondere aus Kunst-, Medien-, Film-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte speist sowie Digital Humanities, Soundstudies, Anthropologie und Philosophie einbezieht.[11]


Digital Humanities


Grau konzipierte bildwissenschaftliche Arbeitsinstrumente für die Geisteswissenschaften/Digital Humanities. Er leitete an der Humboldt-Universität das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Immersive Kunst“, dessen Team seit 1998 das Archive of Digital Art (ADA; zuvor Database of Virtual Art), das erste internationale Archiv für Digitale Kunst entwickelte, das open source an der Donau-Universität geführt wird. Als erstes Onlinearchiv streamte die Database of Virtual Art (DVA) seit 2000 regelmäßig Videodokumentationen. ADA wurde mit Förderung durch den FWF seit 2012 zum ersten web 2.0 Onlinearchiv der Kunstgeschichte weiterentwickelt. Zudem wurde ein Brückenthesaurus entwickelt, der die Medienkunst und ihre kunsthistorischen Vorläufer verbindet. Seit 2020 wird ADA durch Förderung des österr. Bundesministeriums von 1,2 Mio. Euro zur Forschungs- und Lehrplattform für Hochschulen erweitert. Seit 2005 ist Grau zudem Leiter der Datenbank der Graphischen Sammlung Göttweig, Österreichs größter privater graphischen Sammlung, die 32.000 Werke von Albrecht Dürer bis Gustav Klimt umfasst. Bereits seit 2007 wurden in Kooperation mit Martin Gregor Lechner regelmäßig Virtuelle Ausstellungen online publiziert: Unter Deinen Schutz: Das Marienbild in Göttweig (2007), Venezianische Veduten (2008), Lieben und Leiden der Götter: Antikenrezeption in der Druckgraphik (2009), Barocke Bilder-Eytelkeit: Personifikation, Allegorie und Symbol (2010), Das Barocke Thesenblatt (2011), Theorie der Architektur (2011), Künstlerporträts (2012), Das Geistliche Porträt (2013).


Lehrtätigkeit


Grau entwickelte internationale Curricula für die Bildwissenschaften: das MA-Programm MediaArtHistory, die Akademischen Experten Programme Digitales Sammlungsmanagement und Ausstellungsdesign, Visuelle Kompetenzen CP sowie die Masterprogramme Bildwissenschaften, Crossmedia und Data Studies, ferner entstand mit den Danube Telelectures ein neues interaktives Vortrags- und Debattenformat, das international gestreamt wird. 2015 startete gemeinsam mit den Universitäten von Aalborg, Lodz und der City Universität Hong Kong (seit 2019 Lassale Art School, Singapore) den Erasmus Exzellenz Joint Master in MediaArtCultures, der von der EU mit insgesamt 5,5 Mio. Euro unterstützt wird.


Auszeichnungen und Beiratstätigkeit


Grau wurde 2001 in die Junge Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Leopoldina gewählt; 2002 InterNationes/Goethe-Institut; 2003 Book of the Month, Scientific American; 2003 war Grau Stipendiat des Deutsch-Italienisch en Zentrums für Exzellenz Villa Vigoni; 2004 erhielt er den Mediensonderpreis der Humboldt-Universitätsgesellschaft, 2008 folgte Grau einer Einladung zum Olympischen Kulturprogramm nach Beijing, 2010 zum G20 Gipfel nach Seoul, 2011 an die POSTECH Universität, wo er mit zwei Vorträgen den Nobelpreisträgervortragszyklus eröffnete. 2014 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität Oradea.[12] 2015 wurde er in die Academia Europaea gewählt,[13] im November 2016 richtete die Open Univ. of Israel ein Ehrensymposium zur Forschung von Oliver Grau aus, 2019 erhielt Grau den Wissenschaftspreis des Landes Niederösterreich.

Grau fungiert als Herausgeber und Boardmitglied folgender wissenschaftlicher Zeitschriften und Einrichtungen: International Journal of Media & Cultural Politics (UK); Rundbrief Fotografie (GER); IJArt Journal (UK); EKFRASE: Nordisk Tidsskrift for Visuell Kultur (N); International Journal of Art and Technology (UK); SECOND NATURE: International Journal of Creative Media (AUS); IMAGES, Journal for Visual Studies in Southeast Europe; JUNCTURES The Journal for Thematic Dialogue (NZ); Jordan Journal of the Arts (JOR); Revista de Estudios Globales y Arte Contemporaneo (ESP); MediaArtHistories Conference Series Board/Steering Committee (seit 2004); Interdisciplinary Research Center Humanities/Art/Technology, Adam Mickiewicz University, Poznań (POL); St. Petersburg Branch of the Russian Institute for Cultural Research, Machina Media (RUS).


Schriften (Auswahl)



Monographien



Herausgeberschaft



Publizierte Datenbanken



Aufsätze (Auswahl)





Einzelnachweise


  1. Grau 2000
  2. Grau 1999–2007
  3. Grau 1997 und 2001
  4. Grau 2002
  5. Grau 2000
  6. Grau 2001 und 2003
  7. Grau 2003 u. a.
  8. Grau 2006 und 2007
  9. Grau 2005
  10. Grau 2007
  11. vgl. das Online-Textarchiv mediaarthistory.org
  12. Kunsthistoriker Oliver Grau erhält Ehrendoktorwürde. Pressemitteilung vom 20. Mai 2014 beim Informationsdienst Wissenschaft (idw-online.de)
  13. Eintrag auf der Internetseite der Academia Europaea
Personendaten
NAME Grau, Oliver
KURZBESCHREIBUNG deutscher Bildwissenschaftler und Kunsthistoriker
GEBURTSDATUM 24. Oktober 1965

На других языках


- [de] Oliver Grau

[en] Oliver Grau

Oliver Grau (born 24 October 1965) is a German art historian and media theoretician with a focus on image science, modernity and media art as well as culture of the 19th century and Italian art of the Renaissance. Main Areas of Research are: Digital Art, Media Art History, immersion, digital humanities, documentation and conservation strategies of born-digital media art.

[es] Oliver Grau

Oliver Grau (24 de octubre de 1965) es un historiador del arte y teórico de los medios alemán especializado en la ciencia de la imagen (en alemán Bildwissenschaft), la modernidad y el arte mediático (media art), así como en la cultura del siglo XIX y en el Renacimiento italiano.

[ru] Грау, Оливер

Оливер Грау (нем. Oliver Grau; 24 октября 1965 года) — немецкий искусствовед и теоретик в области мультимедийного искусства, специализирующийся в области изобразительного искусства, современности, культуры 19 столетия и итальянском искусстве эпохи Возрождения. Профессор изобразительного искусства, глава Отделения изобразительного искусства в Дунайском Университете (Кремс, Австрия).



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