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Herbert Achternbusch (* 23. November 1938 als Herbert Schild in München; † 10. Januar 2022 ebenda[1]) war ein deutscher Schriftsteller, Filmregisseur und Maler. Er war besonders für seine avantgardistischen Filme bekannt.

Herbert Achternbusch bei der Eröffnung des 33. Filmfestes in München 2015
Herbert Achternbusch bei der Eröffnung des 33. Filmfestes in München 2015

Leben



Kindheit und Jugend


Herbert Achternbusch kam als nichteheliches Kind des Zahnarztes Adi Achternbusch und der Sportlehrerin Ilona Schild zur Welt und wuchs seit 1943 bei seiner Großmutter in Breitenbach bei Mietraching im Bayerischen Wald auf. Er besuchte die Volksschule in Mietraching, dann das Comenius-Gymnasium Deggendorf und bereitete sich noch auf das Abitur vor, als 1959 seine Tochter Eva zur Welt kam. Die Mutter des Kindes war eine Mitschülerin. 1960 wurde er von seinem leiblichen Vater adoptiert und trug seither den Nachnamen Achternbusch.

Nach dem Abitur versuchte er sich zunächst als Maler und Lyriker, bevor er zwischen 1960 und 1962 nacheinander an der Pädagogischen Hochschule München-Pasing, an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg und für drei Semester an der Akademie der Bildenden Künste München studierte. Er malte, fertigte Plastiken an (seine monochromen Bilder und Radierungen präsentierte er in dieser Zeit unter anderem auf Ausstellungen im Haus der Kunst), heiratete 1962 seine Kommilitonin Gerda und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch (u. a. Zigarettenverkäufer auf dem Oktoberfest).


Schriftsteller


Mitte der 1960er Jahre verlegte sich Achternbusch auf Anraten von Kollegen und Freunden wie Hans Erich Nossack, Günter Eich und Martin Walser vom Malen aufs Schreiben. Ab 1964 veröffentlichte er in loser Folge einige kleine Bände mit Gedichten und Radierungen; 1969 verlegte der Suhrkamp Verlag durch die Vermittlung Walsers erste Erzählbände Achternbuschs.

Sein Erstlingsroman Die Alexanderschlacht (1971) wurde als bahnbrechend für die Avantgarde der jungen deutschen Literatur in den 1970er- und 1980er-Jahren empfunden.[2] 1977 wurde Achternbusch seiner selbstgewählten Außenseiterrolle gerecht,[3] als er den Scheck mit dem Preisgeld für den von Verleger Hubert Burda gestifteten Petrarca-Preis auf der Preisverleihung verbrannte und die Veranstaltung unter Protest verließ.

Neben seinem erzählerischen Werk schrieb er regelmäßig für das Theater.


Filmemacher


Anfang der 1970er Jahre begann Achternbusch, erste Schmalfilme zu drehen und kam mit prominenten Vertretern des deutschen Autorenfilms in Kontakt. Er spielte Rollen in Werner Herzogs Kinofilm Jeder für sich und Gott gegen alle und Volker Schlöndorffs Fernsehfilm Übernachtung in Tirol und verfasste 1976 das Drehbuch für Herzogs Film Herz aus Glas. Sein erster Kinofilm als Regisseur war 1974 Das Andechser Gefühl.

1982 lösten Blasphemie-Vorwürfe gegen seinen Film Das Gespenst einen Skandal aus. Der Film zeigt, wie Jesus Christus in einem bayerischen Kloster vom Kreuz steigt, um mit einer jungen Ordensoberin zu schlafen. Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) entschied, den Film nicht freizugeben, denn er attackiere die katholische Kirche und erzeuge „ein nur noch pessimistisches und nihilistisches Grundmuster der Welt, das keine rationale Verarbeitungsmöglichkeit für den Besucher zulässt“. Der Film könne „dem religiösen Empfinden eines nach Millionen zählenden katholischen Teils der Bevölkerung in öffentlicher Vorführung nicht zugemutet werden“.[4] In Österreich erreichte Herwig Nachtmann mit einer Klage die Beschlagnahmung des Films nach Paragraph 36 Mediengesetz. Es handelte sich um die ersten Beschlagnahmungsfälle in Österreich nach der Verankerung der Freiheit der Kunst im Staatsgrundgesetz.[5]

Die FSK revidierte zwar nach kurzer Zeit ihre Entscheidung (in Österreich und der Schweiz blieb der Film verboten), dennoch protestierten in Deutschland Hunderte von Katholiken vor den Programmkinos. Der damals gerade neu ernannte Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann verweigerte dem Regisseur das Preisgeld für seinen Film Das letzte Loch, der ein Filmband in Silber gewonnen hatte. Zuvor waren Achternbusch von der bayerischen Landesregierung schon einmal Fördergelder verweigert worden, weil er in Servus Bayern einen Dichter, der nach Grönland auswandern will, sagen lässt: „In Bayern möchte ich nicht einmal gestorben sein“.[6] Am 29. Juni 1983 lehnte Bundesinnenminister Zimmermann auch die Förderung des Films Der Wanderkrebs ab.

Achternbusch führte nach Zimmermanns Entscheidung einen zehn Jahre dauernden Rechtsstreit gegen die Bundesrepublik Deutschland, den er 1992 vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gewann. Dennoch wurde er von den Fernsehanstalten und Fördergremien sehr lange nicht mehr unterstützt.

Mit Das Klatschen der einen Hand stellte er 2002 den letzten seiner rund 30 Filme fertig.


Privates


Achternbusch war Vater von sechs Kindern und lebte abwechselnd in Buchendorf bei München und in seinem Haus im österreichischen Waldviertel. Er war acht Jahre lang Lebensgefährte von Annamirl Bierbichler und lebte zeitweise mit ihr in ihrer Heimat in Ambach. Zuletzt wohnte er in der Burgstraße im Zentrum Münchens. Seine Tochter Naomi (* 1994) ist Schauspielerin und spielte in seinen Filmen Picasso in München und Das Klatschen der einen Hand mit.

Eine Kurzversion seines Lebens lieferte Achternbusch selbst:

„Ich musste 1938 auf die Welt kommen, nachdem ich mir meine Eltern schon ausgesucht hatte. Meine Mutter war eine sportliche Schönheit vom Land, die sich nur in der Stadt wohlfühlte. Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!“

In Die Macht des Löwengebrülls, einem seiner frühen Texte, schrieb er 1970:

„Er kam aus Niederbayern, hieß Herbert Schild, war Lehrling bei einem Schreiner. In München traf er als Jüngling ein, der schriftdeutschen Sprache und aller Komplemente unerfahren. Daß der Armeleutesohn zu seinem Erfolg forcierte Bildung nicht brauchte, zeigen seine Notizen und noch fünf Jahrzehnte später sein in einem Gemisch von Unverstand und Deutsch verfaßtes Testament. Die Nachwelt verlieh ihm das Prädikat Homo illiteratus. Neuere Forschungen führen den Beweis, daß er außer den Briefen van Goghs und der Bibel noch andere Bücher gekannt haben muß. Zur Malerei kam er im Haushalt des Münchner Dekorationsmalers August Tauscher. 1959 ist er als dessen Gehilfe registriert. In den sechziger Jahren unternahm er eine Reise nach Niederbayern, blieb eine Weile in Straubing. 1967 ist er wieder in München, gründet selber einen Haushalt, der später von einer Kusine, die er aus Niederbayern kommen ließ, besorgt wird. Von den neunziger Jahren an leidet er an Gicht. Er malt jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 2022.“[7]

Tatsächlich ist Achternbusch 2022 im Alter von 84 Jahren gestorben.


Ehrungen


Zu Achternbuschs sechzigstem Geburtstag ehrte ihn die Stadt München, indem Aphorismen des Künstlers auf Flaggen in der ganzen Stadt zu sehen waren. Das Filmfest München ehrte ihn 2008 mit einer umfassenden Retrospektive. Anlässlich des siebzigsten Geburtstags zeigte das Museum Moderner Kunst in Passau eine umfassende Ausstellung zum malerischen Werk des Künstlers von 1990 bis 2008. „Achternbusch bevorzugt für seine Bilder Aquarell- und Mischtechnik, wobei er mit der Farbe in seinen Werken impulsiv umgeht. In seinen poetisch sensiblen, kraftvollen und phantastischen Arbeiten erweist sich Achternbusch als bildmächtiger Erzähler.“[8]


Filmisches Werk


Herbert Achternbusch gilt als bedeutender Vertreter des deutschen Autorenfilms der 1970er Jahre. Bei seinen Filmen war er meist Autor, Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion (Ausnahme: Rita Ritter von 1983). Gedreht hat er fast ausschließlich mit Freunden wie dem Kameramann Jörg Schmidt-Reitwein und dem Maler-Freund Heinz Braun. Eine große Rolle spielten auch die Geschwister Sepp und Annamirl Bierbichler, mit denen er in den achtziger Jahren als Wohngemeinschaft in Ambach am Starnberger See lebte. Annamirl war dabei acht Jahre lang seine Geliebte, bis sie sich 1993 trennten und er die Schauspielerin Judith Tobschall heiratete.[9] Tobschall spielte in Ich bin da, ich bin da (1992) und in Ab nach Tibet! (1994) mit.

Typisch für ihn waren der Einsatz von Laiendarstellern neben professionellen Schauspielern, das einerseits oft improvisierte (Beispiel: Bierkampf), andererseits oft auch theatralisch-rezitierende Spiel und die immer wiederkehrenden Themen des als bigott dargestellten bayerischen Katholizismus und Provinzialismus und des Gefangenseins in der kleinbürgerlichen Ehehölle.[6] Die Kameraarbeit ist meist statisch, die Filme bestehen fast ausschließlich aus Totalen und Halbtotalen.

Achternbusch brach mit seinen Filmen bewusst gesellschaftliche Tabus. Er griff nicht nur die katholische Kirche an (s. o. Skandal um Das Gespenst), sondern attackierte die seiner Ansicht nach verlogene Gesellschaft mit absichtlich provokant-geschmacklosen Szenen:

Kaum beachtet vom großen Publikum hat Achternbusch 30 Filme gedreht, „ein kontinuierlich entwickeltes Werk, in dem Komik und Verzweiflung näher zusammenliegen als bei irgendeinem anderen deutschen Filmemacher.“[10]

„Unbekümmert um übliche Dramaturgie, formuliert Achternbusch radikal subjektivistisch, ignoriert ästhetische Konventionen, durchmischt die Genres. Achternbusch übersteigert eine – wie bei Karl Valentin widerständig sprachlogische – Semantik ins modern Absurde, belädt sie inhaltlich mit realen Schrecken aus Vergangenheit und Gegenwart und ist zugleich immer spontan und spielerisch.“[10]


Werke



Radierungen und Lyrik, Miscellanea



Prosa



Theaterstücke



Hörspiel



Filmbücher



Sammlungen



Filmografie



Filme auf DVD

Die Filme Das Andechser Gefühl, Die Atlantikschwimmer, Das Gespenst, Die Olympiasiegerin und Hick’s Last Stand sind inzwischen auf DVD erschienen. In dieser DVD-Box sind außerdem ein Interview mit Achternbusch aus dem Jahre 1988, die Dokumentation Komm doch an den Tisch und eine Podiumsdiskussion mit Achternbusch vom Filmfest München 2008 enthalten.


Auszeichnungen


Zitat von Herbert Achternbusch auf Transparent der Stadtgalerie Lehen an einem Bauzaun während der Bauphase im Stadtwerk Lehen, Salzburg
Zitat von Herbert Achternbusch auf Transparent der Stadtgalerie Lehen an einem Bauzaun während der Bauphase im Stadtwerk Lehen, Salzburg

Literatur




Commons: Herbert Achternbusch – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikiquote: Herbert Achternbusch – Zitate

Einzelnachweise


  1. Herbert Achternbusch ist tot: Gegen das eigene Unglück und die öde Welt. In: Augsburger Allgemeine. 13. Januar 2022, abgerufen am 14. Januar 2022.
  2. Natur versus Kultur: Herbert Achternbusch. Abgerufen am 19. März 2020 (deutsch).
  3. Peter Roos: Ich bin ein Außenseiter. Das ist mein Los!. In: Die Zeit. Nr. 4/2005; mit weiteren Links
  4. 25. März 2008 - Vor 25 Jahren: „Das Gespenst“ hat Premiere. Westdeutscher Rundfunk, 25. März 2008.
  5. Gerhard Ruiss, Johannes Vyoral (Hrsg.): Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit. Der Freiheit ihre Grenzen? Zensurversuche und -modelle der Gegenwart. Wien 1990. ISBN 978-3-900419-03-5.
  6. Retrospektive Herbert Achternbusch. critic.de, 29. Juni 2008.
  7. Zitiert nach: Die Macht des Löwengebrülls. In: Herbert Achternbusch: 1969. Suhrkamp, 1978, S. 127.
  8. Museum moderner Kunst Stiftung Wörlen: 7. Juni – 3. August 2008 Herbert Achternbusch. Abgerufen am 19. März 2020.
  9. Christine Dössel: Ein Grantler namens Herbert. In: Süddeutsche Zeitung. 17. Mai 2010
  10. Herbert Achternbusch. Regisseur · Drehbuchautor · Produzent · Darsteller · Kamera. deutsches.filmhaus.de, 2007.
  11. Termin-Details – Stadt Bergisch Gladbach. Abgerufen am 13. Januar 2022.
  12. Auszeichnungen und Preise Achternbusch, abgerufen am 14. Januar 2022
  13. Murnau-Preisträger 1991-1999, abgerufen am 14. Januar 2022
Personendaten
NAME Achternbusch, Herbert
ALTERNATIVNAMEN Schild, Herbert (Geburtsname)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Schriftsteller, Filmregisseur und Maler
GEBURTSDATUM 23. November 1938
GEBURTSORT München
STERBEDATUM 10. Januar 2022
STERBEORT München

На других языках


- [de] Herbert Achternbusch

[en] Herbert Achternbusch

Herbert Achternbusch (23 November 1938 – 10 January 2022) was a German film director, writer and painter.[1] He began as a writer of avant-garde prose, such as the novel Die Alexanderschlacht, before turning to low-budget films. He had a love-hate relationship with Bavaria which showed itself in his work. Some of his controversial films, such as Das Gespenst (The Ghost), were presented at the Berlinale festival.

[fr] Herbert Achternbusch

Herbert Achternbusch est un écrivain, peintre et cinéaste allemand né le 23 novembre 1938 à Munich et mort le 10 janvier 2022[1],[2],[3].

[it] Herbert Achternbusch

Herbert Achternbusch, nome d'arte di Herbert Schild (Monaco di Baviera, 23 novembre 1938 – Monaco di Baviera, 10 gennaio 2022), è stato un regista e sceneggiatore tedesco.

[ru] Ахтернбуш, Герберт

Герберт Ахтернбуш (нем. Herbert Achternbusch, настоящее имя Герберт Шильд (Herbert Schild); 23 ноября 1938, Мюнхен — 10 января 2022, Мюнхен) — немецкий кинорежиссёр, писатель, художник, актёр, продюсер.



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