Pieter de Graeff, Vrijheer der Hohen Herrlichkeit von Zuid-Polsbroek, vrijheer[1] / heer van Purmerland en Ilpendam[2] (* 15. August 1638 in Amsterdam; † 3. Juni 1707) war ein holländischer Aristokrat des Goldenen Zeitalters der Niederlande. Er entstammte dem Geschlecht De Graeff, den Stadtherren von Amsterdam.
Pieter de Graeff war in der Zeit vor dem Rampjaar 1672 einer der einflussreichsten staatsgesinnten, republikanischen Politiker Amsterdams.[3] Als Bewindhebber der Niederländischen Ostindien-Kompanie war er nach dem Rampjaar einer der wichtigsten Repräsentanten und Leiter derselbigen.[4] Seine politische Haltung war charakteristisch für seine Familie: einerseits Libertin und staatsgesinnt, andererseits, wenn auch nur bedingt, loyal gegenüber den Oraniern.[5] De Graeff hatte in intimen Kontakt mit den Staatsmännern Johan de Witt und Wilhelm III. von Oranien sowie den Künstlern Joost van den Vondel und Jan Lievens gestanden.
Im Laufe des Goldenen Zeitalters der Niederlande standen die Mitglieder der Familie De Graeff in harscher Kritik zum sich immer mehr ausbreitenden Einfluss des Hauses Oranien-Nassau. Gemeinsam mit den führenden republikanischen Staatsmännern, den Gebrüdern Bicker und den De Witt, waren sie für eine Aufhebung der Statthalterschaft, zumindest in der Provinz Holland. Weiters beanspruchten sie den Erhalt einer (ihrer) vollen Souveränität als Stadtregenten.[6]
Pieter de Graeff war der erstgeborene Sohn des Staatsmannes und Amsterdamer Regenten Cornelis de Graeff und Catharina Hooft; mit Jacob de Graeff hatte er einen jüngeren Bruder. Pieter genoss in seiner Jugend Erziehung und Privatunterricht bei Johann Amos Comenius.[7] Im Alter von 16 Jahren begleitete Pieter den Amsterdamer Bürgermeister Johan Huydecoper van Maarsseveen auf einer diplomatischen Mission nach Berlin. Die Stadt trat als offizieller Taufpate des Sohnes des Großen Kurfürsten Markgraf Friedrich Wilhelm auf. Diese Patenschaft war von Pieters Vater Cornelis organisiert worden[8] und führte später zum Eingreifen des Kurfürsten als Bündnispartner im Holländischen Krieg.
In den Jahren von 1658 bis 1660 reiste Pieter durch England und Frankreich und erhielt an der Universität Orléans das Lizenziat für ziviles und kanonisches Recht. Die diversen Reiseberichte wurden von Pieter allesamt in seinen Tagebüchern vermerkt, von denen nur die Berichte über die Berliner Reise erhalten geblieben sind.[8] Im Jahre 1660 wurde durch Pieters Vater Cornelis, seinem Cousin Johan de Witt und Gillis Valckenier ein Konsortium gegründet, welches die Vormundschaft über den jungen oranischen Fürsten Wilhelm III. von Oranien-Nassau, das kind van staat, beinhaltete. Die Sommer verbrachten die Gebrüder Pieter und Jacob de Graeff mit Wilhelm, dem späteren König von England, auf dem De Graeffschen Anwesen am Soestdijk, das Wilhelm später erwarb und zum Palais Soestdijk der niederländischen Erbstatthalter und Könige ausbaute.[9]
Pieter eheliche 1663 seine Cousine Jacoba Bicker (Tochter von Johan Bicker und Agneta de Graeff van Polsbroek) der Schwester von Wendela Bicker, die Johan de Witt ehelichte. Zu Pieters Schwager zählten weiters der hohe Beamte Gerard Bicker (I) van Swieten, der Waffenhändler Jacob Trip sowie der Bankier und Financier Jean Deutz.
Anlässlich er dieser Hochzeit verfasste der Dichter Joost van den Vondel das Gedicht Ter bruiloft van den weledelen heer Peter de Graef, Jongkheer van Zuitpolsbroek en de weledele mejoffer Jakoba Bikker.[10] Aus seiner Ehe gingen drei Kinder hervor, zwei Söhne und eine Tochter. Seine beiden Söhne, Cornelis und Johan traten des Vaters Erbe in Zuid-Polsbroek, Purmerland und Ilpendam an.
Das Wappen von Pieter de Graeff ist geviert und mit einem Herzschild versehen und zeigt seit 1678 folgende Symbole:
1662 erhielt Pieter sein erstes öffentliches Amt als Hauptmann der Amsterdamer Bürgergarde. Im selben Jahr heiratete er seine Cousine Jacoba Bicker (1640–1695), Tochter von Johan Bicker und Agneta de Graeff van Polsbroek (1603–1656) und Schwester von Johan de Witts Ehefrau Wendela Bicker. Bei ihrer Hochzeit auf Schloss Ilpenstein hielt De Witt die Hochzeitsrede.[8] Die dabei anwesenden Poeten Gerard Brandt,[14] Jan Vos[15] und Joost van den Vondel[16] „besangen“ diese Hochzeit. Mit dem Tod seines Vaters Cornelis wurde Pieter im Jahre 1664 Vrijheer van Zuid-Polsbroek. Gleichfalls übernahm er auch des Vaters Funktion als Bewindhebber der Niederländischen Ostindien-Kompanie (einer der Leiter dieser Handelsgesellschaft, welche auch kurz VOC genannt wird).[8] Pieter hatte viel Interesse an der Bodenkultur, deren er auch als Bewindhebber der VOC sowie als Landesherr eifrigst nachkommen konnte.[8] Er trug die genealogischen Fakten und Informationen über sein Geschlecht zusammen und archivierte diese. (Das Amsterdamer Familienarchiv De Graeff enthielt noch 1912 viele dieser Stücke.)[8]
1666 wurde Pieter Kommissar des Seehandels in Amsterdam und zum militärischen Kommandanten von Amsterdam ernannt.[17] 1668 trat er als Schöffe (niederländisch: schepen) in die Amsterdamer Stadtregierung ein. Er wurde auch Mitglied des Amsterdamer Magistrats (niederländisch: vroedschap)[8] Politisch stand er auf der Seite seines Verwandten und Freundes Johan de Witt, dessen vertrauter Ratsmann er war und mit dessen ihm eine intensive briefliche Korrespondenz verband. Das Verhältnis zwischen den beiden wird als sehr gut und innig beschrieben.[4] Einige Briefe zwischen den beiden haben die Ausbildung des oranischen Fürsten Wilhelm III. zum Inhalt.[18] Als De Graeffs Schwägerin und Cousine Wendela Bicker 1668 verstarb, wurden er und sein Schwager Jean Deutz zum Vormund deren Neffen und Nichten bestellt, und für die Abwicklung des Nachlasses zuständig.[19] Pieter Graeff stand auch in Verbindung zum Dichter Joost van den Vondel,[20] dem Künstler Jan Lievens,[21] dem Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz[22] dem Diplomaten Jacob Boreel sowie dem Naturforscher Christiaan Huygens. Am Anfang der 1670er Jahre kristallisierte sich in der Amsterdamer Stadtregierung unter dem Einfluss der oranisch gesinnten Bürgermeister Gillis Valckenier und Coenraad van Beuningen eine Anti-De Witt Faktion heraus. Im Verlauf des Jahres 1671 erhielt die republikanische Staatspartei unter der Führung von Pieter die Oberhand in der Amsterdamer Stadtregierung zurück.[3] Für eine kurze Zeit sah es danach aus, als könne sich De Witts republikanisches System konsolitieren.
Im Rampjaar 1672 wurde die republikanisch gesinnte Fraktion De Graeff,[24] beinhaltend Pieter,[8] seinen Bruder Jacob, deren Onkel Andries de Graeff sowie deren Cousin Bürgermeister Lambert Reynst, von der Regierung ausgeschlossen. Dies war eine der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung eines holländischen Statthalters. Nach der Ausrufung des Oraniers Wilhelm III. zum Statthalter wurden die Brüder Johan und Cornelis de Witt, die 1667 zusammen mit Andries de Graeff maßgeblich an der Abschaffung der Statthalterschaft beteiligt gewesen waren, wurden in Den Haag ermordet. Nach dem Tod seines Verwandten Johan de Witt übernahm Pieter als Onkel die Vormundschaft über dessen fünf verwaiste Kinder (darunter auch über Johan II. de Witt).[4]
Pieter de Graeff blieb ausschließlich die Funktion eines Vorstehers (niederländisch: „bewindhebber“) der VOC, die er bis zu seinem Tod innehatte.[25] Zwischen den Jahren 1671 bis 1678 arbeitete Pieter, der immer mehr als einer der Leiter der VOC hervortrat, intensiv mit Joan Maetsuycker, dem Generalgouverneur von Niederländisch-Indien, zusammen.[4] Vor allem in den Jahren 1673/74 waren die Gebrüder Pieter und Jacob erfolglos bemüht bei Wilhelm III. in Gunst zu kommen.[26] 1674 verfügte Pieter über ein aktives Barvermögen von 130.000 Gulden und zählte damit zu den 250 reichsten Personen des Goldenen Zeitalters.[27][28] Nach dem Tod des Bruders und der Mutter wurde Pieter de Graeff 1691 Herr der Hohen Herrlichkeit Purmerland und Ilpendam.
Pieter de Graeff verstarb als Witwer, nachdem seine Ehefrau Jacoba Bicker schon 1695 verstorben war. Er wurde in der Familiengruft in der Oude Kerk beigesetzt.[29]
Aus Pieter de Graeffs Nachlass stammen mehrere Gemälde, auf denen er in verschiedenen Phasen seines Lebens zu sehen ist. Im Jahre 1675 wurde er von Gerard Terborch gemalt;[30] des Weiteren durch Jan Lievens,[30] Caspar Netscher,[31] und Wallerant Vaillant[32] sowie mitsamt seinem Bruder Jacob durch Karel Dujardin.[33] Daneben existieren zwei Gruppenbildnisse mit seinen Eltern und nahen Verwandten. Das erste stammt aus dem Jahre 1652 und wurde von Jan Victors gemalt. Es zeigt sie als die biblischen Personen Erzvater Isaak und Rebekka und deren Kinder Esau und Jakob. Das zweite von Jacob van Ruisdael und Thomas de Keyser zeigt die Familie bei deren Ankunft am Landhaus Soestdijk. 1678 wurde De Graeff mit seiner Ehegattin Jacoba Bicker und deren gemeinsamen Tochter Agneta de Graeff durch Emanuel de Witte in dem Gemälde Porträt einer Familie in einem Interieur verewigt.[34]
Pieter de Graeff bewohnte das Stadthaus an der Amsterdamer Herengracht Nr. 573, das heutige Taschenmuseum Hendrikje, die Landhäuser Valckenburg,[32] Vogelsang und Bronstee sowie das Schloss Ilpenstein. Valkenburg (das vormalige Valckeveen seines Großvaters Dirck Jansz Graeff) bei Heemstede, erwarben Pieter, sein Onkel Andries de Graeff und sein Cousin und Schwager Gerard Bicker (I) van Swieten 1675 zu gleichen Teilen von seiner Tante Christina de Graeff (1609–1679).[35] Ab 1685 war Pieter de Graeff der alleinige Besitzer.[36] Er beschäftigte auch den Kupferstecher Romeyn de Hooghe, der Gravuren seiner diversen Wohnstätten anlegte.[37] Pieter machte mehrere Notizen über Verhandlungen und Zahlungen im Zusammenhang mit der Vermessung seines Besitzes. Er beriet sich hierbei mit De Hooghe, der eine künstlerische Karte von De Graeffs Landhaus Valkenburg stechen sollte. Jeanine Otten gab unter dem Titel Kaarttekenaars en kaartafzetters in de dagboeken van Pieter de Graeff (1638–1707) eine Arbeit über Pieters Aktivitäten zu Darstellung seiner Besitztümer heraus.[38]
Zwischen den Jahren 1664 und 1706 hatte Pieter de Graeff Tagebücher mit annähernd 1600 Seiten verfasst.[39]
Pieter de Graeff war auch als Genealoge und Sammler und Chronist von Schriften und Urkunden seiner Familie tätig. Durch ihn sind viele Details über seine Vorfahren noch heutzutage archiviert.[40] Des Weiteren stellte er die (ältere) Genealogie der Reichsbarone De Petersen zusammen, zu welcher er als Großcousin von Pfalzgraf Jakob de Petersen in verwandtschaftlicher Beziehung gestanden ist.[41]
Im Amsterdamer Patriziat des 16. und 17. Jahrhunderts existierten mit der Familie Banning(h), auch Benning(h), und der Familie Banninck zwei Familien mit sehr ähnlichen Namen, die nicht näher miteinander verwandt waren. Dabei war die erstgenannte Familie von größerer Bedeutung, da sie über einen längeren Zeitraum Mitglieder der Stadtregierung stellte. Frans Banninck Cocq, der Kapitän aus Rembrandts berühmten Gemälde Die Nachtwache, und Pieter de Graeffs Onkel, gehörte mütterlicherseits der weniger bedeutenden Familie Banninck an. Aufgrund der ähnlichen Namen kam es bereits unter Zeitgenossen zu Falschschreibungen. Ein von Banninck Cocq angelegtes zweiteiliges Familienalbum enthält neben einer Kopie der Nachtwache zahlreiche kolorierte Zeichnungen und Aquarelle. Es zeigt die Genealogie seiner Familie, mit Abbildungen einer Reihe von Wappen. Weiters sind zahlreiche Gebäude abgebildet, zu denen Banninck Cocq eine Beziehung hatte. Viele der Darstellungen wurden wahrscheinlich von ihm selbst gemalt, und das Buch um 1654 von ihm selbst fertiggestellt. Die Nachtwache wurde wohl noch im Auftrag Banninck Cocqs von Jacob Colijns gemalt. Eine Reihe von handschriftlichen Ergänzungen erfolgten nach Banninck Cocqs Tod im Jahre 1655 durch Pieter de Graeff. Möglicherweise wurden andere Zeichnungen und Aquarelle des Familienbuchs erst nach Banninck Cocqs Tod ebenfalls von Colijns zugefügt, der zu de Graeffs Gunsten auch Dokumente zu anderen mit ihm verwandten Familien gefälscht oder verfälscht hat.[42] Über lange Zeit wurde angenommen, Banninck Cocq selbst habe die Familienalben dergestalt manipuliert, dass sie seine Herkunft aus der älteren Patrizierfamilie belegten. Tatsächlich erfolgten die Fälschungen in der Handschrift von De Graeff, der nach dem Rampjaar 1672 alle städtischen Ämter verloren hatte, und auch daher Grund und Gelegenheit zur Aufbesserung seiner Familiengeschichte hatte. Er erbte 1690 über Banninck Cocqs Witwe, seine Tante Maria Overlander van Purmerland, seiner Mutter Catharina Hooft und schlussendlich über seinen Bruder Jacob de Graeff dessen Titel eines Vrijheeren van Purmerland en Ilpendam. Bei den Manipulationen seiner Familiengeschichte unterstützten De Graeff ebenfalls der Maler Colijns, der möglicherweise auch die Kopie der Nachtwache im Familienalbum gemalt hat, und der Dichter Joost van den Vondel.[43] Der niederländische Schriftsteller Johan Engelbert Elias veröffentlichte 1903 bis 1905 seine zweibändige Geschichte der Amsterdamer Stadtverwaltung von 1578 bis 1795. Er durchschaute de Graeffs Fälschungen nicht und fasste beide Familien zu einer zusammen, was aber im 21. Jahrhundert durch neue Forschungen und die völlig unterschiedlichen Familienwappen widerlegt werden konnte.[44][45][46] Das Familienbuch ist bis heute im Besitz der Familie de Graeff und befindet sich als Dauerleihgabe im Rijksprentenkabinet des Rijksmuseum Amsterdam.[47]
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
---|---|---|
Cornelis de Graeff | Herr von Zuid-Polsbroek 1664–1707 | Johan de Graeff |
Catharina Hooft und Jacob de Graeff | Herr von Purmerland und Ilpendam 1690 / 1691–1707 | Cornelis de Graeff |
Personendaten | |
---|---|
NAME | Graeff, Pieter de |
KURZBESCHREIBUNG | Person aus dem Goldenen Zeitalter der Niederlande |
GEBURTSDATUM | 15. August 1638 |
GEBURTSORT | Amsterdam |
STERBEDATUM | 3. Juni 1707 |