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Unica Zürn (* 6. Juli 1916 in Berlin-Grunewald als Nora Berta Ruth Zürn; † 19. Oktober 1970 in Paris) war eine deutsche Schriftstellerin und Zeichnerin.


Leben und Wirken


Nora Zürn besuchte in Berlin das Gymnasium, das sie jedoch vor der Reifeprüfung verließ. Von 1934 bis 1942 war sie bei der Ufa angestellt, anfangs als Sekretärin und Archivarin, später als Dramaturgin für Werbefilme. 1942 heiratete sie Erich Laupenmühlen, mit dem sie zwei Kinder hatte. 1949 wurde diese Ehe geschieden, der Vater bekam das Sorgerecht zugesprochen. Von 1949 bis 1955 verdiente sie sich ihren Lebensunterhalt mit dem Verfassen von Geschichten für Berliner Zeitungen.

1953 lernte Zürn den Künstler Hans Bellmer kennen, mit dem sie in der Folge eine enge Beziehung verband. Zürn folgte ihm nach Paris, wo sie anfing zu zeichnen und Anagramme zu verfassen. 1953 und 1957 wurden ihre Zeichnungen in Paris ausgestellt. Ab 1957 unterhielt sie Kontakte zu den Pariser Surrealisten Hans Arp, André Breton, Marcel Duchamp, Max Ernst und Henri Michaux und begann mit der Arbeit an surrealistischen Prosastücken.

Grabstein von Unica Zürn und Hans Bellmer auf dem Cimetière du Père-Lachaise
Grabstein von Unica Zürn und Hans Bellmer auf dem Cimetière du Père-Lachaise

Im Jahr 1959 war Unica Zürn Teilnehmerin der documenta II in Kassel in der Abteilung Graphik. Anfang der sechziger Jahre kam bei ihr eine paranoide Schizophrenie zum Ausbruch. Von 1961 bis 1963 hielt sie sich daher in einer psychiatrischen Klinik in Paris auf, und auch in den folgenden Jahren kam es noch mehrfach zu Krankenhausaufenthalten. Als 1967 die Kestnergesellschaft in Hannover eine Bellmer-Ausstellung zeigte, waren parallel in der dortigen Galerie Brusberg Arbeiten von Unica Zürn zu sehen. Den Sommer 1970 verbrachte sie in der offenen psychiatrischen Klinik Château de la Chesnaie de Chailles. Hier besserte sich ihr Zustand zum ersten Mal seit Ausbruch der Krankheit merklich. Am 18. Oktober wurde sie für ein paar Tage vom Klinikaufenthalt beurlaubt. Am Tag darauf nahm sie sich das Leben, indem sie aus dem Fenster ihrer und Bellmers Wohnung sprang. Bellmer starb 1975 vereinsamt in Paris. Unica Zürns und Hans Bellmers Grabstelle liegt auf dem Cimetière du Père-Lachaise (Division 9).

Unica Zürns literarisches Werk, das zu Lebzeiten wenig beachtet wurde, besteht zum einen aus autobiografisch geprägter und häufig fragmentarischer Prosa, die vor allem ihre Liebesbeziehungen, ihre Krankheit und deren Behandlung zum Thema hat, zum anderen aus poetischen Texten, von denen ihre 123 Anagramm-Gedichte am bedeutendsten sind.


Literarische Arbeiten


Die bekanntesten Schriften und Kunstwerke von Zürn entstanden zwischen 1950 und 1970. Zürns Umzug nach Paris ermöglichte es ihr, offen über Themen wie häusliche Gewalt, Abtreibung und sexueller Missbrauch zu schreiben.[1][2] In Deutschland hatte sie ihren Roman nicht veröffentlichen können.[1][2] Zu den von ihr publizierten Texten gehören Hexentexte (1954), ein Buch bestehend aus Anagrammgedichten und Zeichnungen, sowie Dunkler Frühling (1967) und Der Mann im Jasmin (1971), die sich beide in Paris einer großen Beliebtheit erfreuten.[3][4] Eine Aggression dem weiblichen Körper gegenüber zeigt sich in Zürns Erzählungen,[5] welche häufig aus inneren Dialogen bestehen.

Der Großteil ihrer späteren Texte folgt Zürns eigenen Lebenserfahrungen. Dunkler Frühling ist eine Art Entwicklungsroman, welcher von den ersten sexuellen Begegnungen einer jungen Frau sowie den ersten Anzeichen ihrer psychischen Erkrankung erzählt. Zahlreiche archetypische Figuren prägen den Roman: der idealisierte Vater, die geächtete Mutter und das problembeladene Mädchen mit masochistischen Tendenzen.[6] Ebenso scheint Zürns Tod im Text vorausblickend angedeutet zu werden, zumal sich schließlich die Protagonistin von Dunkler Frühling durch einen Sprung aus ihrem Schlafzimmerfenster das Leben nimmt.


Visuelle Arbeiten


Zu Zürns visuellen Arbeiten zählen Ölmalerei, Aquarelle, Skizzen, Tintenzeichnungen und Postkarten.[2] Zwar produzierte Zürn einige Malereien in den frühen 1950er Jahren, doch arbeitete sie vor allem mit Tinte, Bleistift und Gouache.[7] Ihre fantastischen, präzise umgesetzten Arbeiten werden bevölkert von imaginären Pflanzen, Chimären und amorphen humanoiden Formen, welche manchmal mehrere Gesichter, die aus ihren verzerrten Körpern hervorgehen, aufweisen. Augen sind dabei allgegenwärtig,[8] und die Zeichnungen sind geprägt von komplizierten und sich wiederholenden Markierungen. Gewalt und Verformung sind zwei charakteristische Eigenschaften, die sowohl im Herstellungsprozess als auch im Endprodukt von Zürns visuellem Werk vorhanden sind.[2] Sie behandelte das Zeichnen als einen Schöpfungsprozess, der von einer Zerstörung oder Dekonstruktion der Form abhängt und das Bild transformiert.[2] Das Dekonstruktive zeigt sich auch in Zürns Rekreation von Bedeutung und Wörtern in ihren Anagramm-Schriften.[2] Im Gegensatz zu ihren Schriften zirkulierten ihre grafischen Arbeiten kaum außerhalb von Privatsammlungen, Auktionen, Galerielagern und nationalen Archiven.[2] Während ihrer Karriere setzte sich Zürn nicht beständig für das Bekanntwerden ihrer visuellen Arbeiten ein.[2]

Im Jahr 1953 stellte Zürn erstmals ihre automatischen Zeichnungen in der Galerie Le Soleil dans la Tête in Paris aus.[9] Brenton, Man Ray, Hans Arp, Joyce Mansour, Victor Brauner und Gaston Bachelard gehörten zu den Künstlern, welche die Ausstellung besuchten. Zürns Arbeiten wurden gut aufgenommen. Doch trotz dieses Erfolgs bewarb Zürn ihre visuellen Arbeiten weiterhin nicht aktiv.[9]

Ihre großformatige Arbeit Untitled (1965)[10] zeigt sich wiederholende und überlappende menschliche Köpfe im Mittelpunkt.[1][2] Die 65 × 50 cm große Zeichenfläche[10] ist gefüllt mit runden Linien, welche eine Mehrzahl an veränderbarer Porträts erzeugen. Zürn nutzte hierbei primär Tinte und Gouache.[10] Jedes Gesicht verändert und verschmilzt dabei mit einem der anderen Porträts in diversen Größen und Expressionen.[1][2] Das Übereinander-Schichten all dieser Zeichnungen generiert eine monströse Entität, wobei die Repetition das Gesicht manipuliert und entstellt.[1][2] Zürns Schichten von Gesichtern macht es für den Betrachter unmöglich, die Anzahl der abgebildeten Personen im Porträt zu bestimmen, ohne nicht zunehmend weitere Kombinationen von Augen, Nasen, Lippen und Augenbrauen zu finden und damit neue Porträts zu erschließen.[1][2]

Zürns Zeichenmethode, das manuelle, repetitive Schichten von Linien, ähnelt dem Prozess des Anagramm-Schreibens[1][2], bei dem neue Wörter und Sätze aus den vorhandenen Buchstaben eines anderen Wortes oder Satzes geschaffen werden. Viele ihrer Bildkompositionen teilen diese facettenreiche Qualität und entwickeln eine visuelle Sprache von Rekonstruktion und Transformation.[1][2]

Zürn ist laut Suleiman eine der wenigen Frauen, die mit der surrealistischen Bewegung assoziiert werden; andere sind beispielsweise Leonora Carrington, Dorothea Tanning, Kay Sage, Eileen Agar, Ithell Colquhoun, Toyen, Leonor Fini und Valentine Hugo.[4]


Ehrung


Im Abspann des Filmdramas Despair – Eine Reise ins Licht von Rainer Werner Fassbinder (1978) steht geschrieben, dass der Film Antonin Artaud, Vincent van Gogh und Unica Zürn gewidmet ist.

Oskar Pastior fand für Unica Zürns Namen das Anagramm: „Unica Zuern – Azur in nuce“ (‚Himmelsblau in einer Nußschale‘).[11]


Werke



Ausstellungskataloge



Vertonungen


3. Der Tod ist die Sehnsucht meines Lebens (Zürn) – 5. Die Zeit ist das Brot von dem wir uns nähren (Zürn)
1. Ich weiss nicht, wie man die Liebe macht – 2. Werde ich dir einmal begegnen? – 3. Stille Wasser sind tief – 4. Dans ta lumière, dans ton ampleur, dans ton horreur – 5. Und scheert ihr Rosenbaertlein ab – 6. Ich weiss, wie man die Wollust macht
1. Das Leben ist schoen – 2. Ich weiss nicht, wie man die Liebe macht – 3. Niemand hoert auf zu leben

Literatur





Einzelnachweise


  1. Plumer Esra: Unica Zürn: art, writing and postwar surrealism. I.B. Tauris & Co., London 2016, ISBN 978-1-78453-036-5, S. 13, 15, 16, 17, 23, 80, 119 (englisch).
  2. Caroline Rupprecht: Subject to delusions: narcissism, modernism, gender. Northwestern University Press, Evanston 2006, ISBN 0-8101-2234-0, S. 136, 137, 138.
  3. Jennifer Cizik Marshall: The Semiotics of Schizophrenia: Unica Zürn's Artistry and Illness. In: Modern Language Studies. Band 30, Nr. 2, 2000, ISSN 0047-7729, S. 21, 22–29, doi:10.2307/3195377 (englisch).
  4. Susan Rubin Suleiman: A Double Margin: Reflections on Women Writers and the Avant Garde in France. In: Yale University Press (Hrsg.): Yale French Studies. Nr. 75, The Politics of Tradition: Placing Women in French Literature. Yale University Press, 1988, S. 148–172, doi:10.2307/2930312, JSTOR:2930312 (englisch).
  5. Valie Export, Margret Eifler, Kurt Sager: The Real and Its Double: The Body. In: Discourse. Band 11, Nr. 1 BODY // MASQUERADE. Wayne State University Press, 1988, S. 3–7, JSTOR:41389105 (englisch).
  6. Valery Oisteanu: The Chimeras of Unica Zürn. In: artnet. 15. März 2005 (englisch, artnet.com).
  7. Gary Indiana: A Stone for Unica Zürn. In: Art in America. 16. Juli 2009 (englisch, artnews.com).
  8. Mary Ann Caws: Unica Zürn: Dark Spring (= Drawing Papers 86). The Drawing Center, 2009, S. 41–42, 44, 58 (englisch, issuu.com).
  9. Unica Zürn, Malcolm Green: The man of jasmine. Atlas, London 1994, ISBN 0-947757-80-5, S. 10 (englisch).
  10. Unica Zürn (amerikanisches englisch) In: Ubu Gallery.
  11. Sabine Peters: „Satt irrt der Spassgeist“. In: Deutschlandfunk. Deutschlandradio, 18. Januar 2008, abgerufen am 23. Oktober 2022.
Personendaten
NAME Zürn, Unica
ALTERNATIVNAMEN Zürn, Nora Berta Unica Ruth (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG deutsche Zeichnerin und Prosa-Schriftstellerin
GEBURTSDATUM 6. Juli 1916
GEBURTSORT Berlin-Grunewald
STERBEDATUM 19. Oktober 1970
STERBEORT Paris

На других языках


- [de] Unica Zürn

[en] Unica Zürn

Unica Zürn (6 July 1916 – 19 October 1970) was a German author and artist. Zürn is remembered for her works of anagram poetry and automatic drawing and for her photographic collaborations with Hans Bellmer. An exhibition of Bellmer and Zürn's work took place at the Ubu Gallery in New York City in the spring of 2012.[1]

[es] Unica Zürn

Unica Zürn (6 de julio de 1916 - 19 de octubre de 1970) fue una autora y artista alemana. Zürn es conocida por sus obras de poesía anagramática, su dibujo automático y sus colaboraciones fotográficas con Hans Bellmer [1] Las obras más conocidas de Unica son El hombre jazmín (Der Mann in Jasmin) y Primavera sombría (Dunkler Frühling), en las que relata sus frecuentes estancias en el hospital psiquiátrico. También escribió varios relatos breves, recopilados en El trapecio del destino y otros cuentos.

[fr] Unica Zürn

Unica Zürn, née le 6 juillet 1916 à Berlin-Grunewald et morte le 19 octobre 1970 à Paris, est une peintre, dessinatrice, poétesse et écrivaine allemande.

[ru] Цюрн, Уника

У́ника Цюрн (нем. Nora Berta Unica Ruth Zürn; 6 июля 1916 (1916-07-06), Берлин — 19 октября 1970, Париж) — немецкая писательница, художница, скульптор.



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